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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlanken Finger gegeneinander. Doerinck kam vom Bücherschrank mit der Zigarrenkiste zurück; es gehörte bei einem Besuch Dr. Hambachs zum ständigen Ritual, eine Zigarre zu rauchen und drei Körnchen zu trinken. Mit Wein war er nicht zu locken, obwohl er ihn trank – was heißt trank: er konsumierte ihn barbarisch. Als echter Münsterländer kippte er ihn runter wie Bier. Nun, nach zwei Gläsern, sehnte er sich nach einem Korn.
    »Was willst du versuchen?« fragte Hambach unschuldig.
    »Dich zu heilen.«
    »Laß den Unsinn, Cora!« rief Doerinck scharf. »Ein Weibsstück von siebenundzwanzig Jahren, und dann noch so ein Unfug!«
    »Bleib ruhig stehen, Onkel Ewald.« Corinna hatte sich etwas vorgebeugt, die linke Hand waagerecht erhoben, die rechte gesenkt zu Hambachs Unterleib, und dann waren ihre Hände langsam auf und ab gefahren, vor allem die rechte Hand, die in kurzer Entfernung von seinem Unterleib, in der Luft schwebend, eine Art Streichelbewegung ausführte.
    Nach genau zwei Minuten war es vorbei. Dr. Hambach starrte Corinna sprachlos an, als sie sich abwandte, in den nächsten Sessel setzte und gierig eine Zigarette anrauchte. »Wenn du morgen wiederkommen kannst, Onkel Ewald«, sagte sie. Ihre Stimme klang etwas hohl und müde. »Wir schaffen es!«
    »Was?« fragte er ausgesprochen dumm.
    »Sie spinnt!« Doerinck knallte die Korngläser auf den Tisch und goß ein. Es war das erstemal, daß er seiner Tochter bei einer solchen Handlung bewußt zusah. »Vor drei Tagen ist ihr eine Katze zugelaufen, verhungert und voller Ausschlag. Jetzt ist der Ausschlag weg. Sie habe sie nur gestreichelt, sagt sie. Und jetzt glaubt sie … purer Unsinn!«
    »Interessant!« hatte Dr. Hambach gesagt und nachdenklich auf Corinna hinuntergeblickt. Dann trank er seine beiden Korn und rauchte seine Zigarre. »Selbstverständlich komme ich morgen wieder. Das will ich sehen!«
    Dr. Hambach kam zehnmal. Das Brennen und Ziehen im Kreuz ließ nach, der Urin war klar geworden. Nach der zehnten Behandlung machte Hambach eine Urinanalyse und schickte zur Sicherheit noch eine Probe nach Münster zum Uni-Labor. Der Befund war eindeutig. Ein völlig gesunder Urin. Auch das Blutbild wies keinerlei Entzündung im Körper mehr nach.
    Später besuchte Hambach Corinna in ihrer Teppichknüpferei am Stadtrand von Hellenbrand, hockte sich neben den halbfertigen aufgespannten Teppich und sah ihren flinken Händen zu. »Wenn es stimmt, was ich denke, mein Mädchen«, sagte er schließlich, »dann hast du ein verdammt schlimmes Leben vor dir. Sie werden dich nicht wie im Mittelalter verbrennen, sondern sie werden dich fertigmachen. Du bist der leibhaftige Teufel für die Schulmedizin. Cora, ein Rat von deinem alten Onkel: Vergiß das alles! Knüpf deine wunderschönen Teppiche, aber laß die Finger von den Krankheiten. Kind, du wirst dir nur eine Hölle damit schaffen …«
    Ja, so war das gewesen. Doerinck hielt es nicht mehr in seinem Bett bei den Erinnerungen. Er schob sich vorsichtig heraus, um Ljudmila nicht zu wecken, tappte mit nackten Füßen zum Fenster und starrte hinaus in die helle Mondnacht. Fast windstill war es, die Blätter an den Obstbäumen bewegten sich kaum. Über den vier Reihen des Spargelbeetes lag der Mondschein wie ein silberner Deckel. Auf dieses Beet war Doerinck stolz. Er hatte es vor sieben Jahren angelegt, und nun erntete er Spargel, um den ihn jeder beneidete. Auch morgen früh würde er wieder, bevor die Sonne ganz durchbrach, mit dem langen Messer die Beete abgehen und den Spargel dort tief stechen, wo ein Spargelkopf sich anschickte, die Erde zu durchbrechen. Das mußte man sehen und das mußte man können.
    Wie wird das alles werden, dachte Doerinck mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust. Wie wird sich das entwickeln? Meine Tochter kann mit den bloßen Händen heilen. Meine Tochter! Wer soll das begreifen? Damals, in Poti am Schwarzen Meer, bei Ljudmilas Vater, habe ich dämlich gegrinst, wenn der Arzt David Semjonowitsch Assanurian die Krankheiten wegstreichelte. Die Russen, habe ich gedacht. Na ja, wen wundert's? Sie haben nie die Intelligenz mit Löffeln gefressen, sie glaubten immer an Wundermänner, Wundermedizin, Hellseher, Magier, Schamanen, Gesundbeter. Die Epileptiker nannten sie ›heilige Idioten‹, und ein Kerl wie Rasputin war auch nur in Rußland möglich. Was ist dieser Dr. Assanurian anderes? Ein kleiner Rasputin, der sein Theater versteht. Ein Gaukler, der sich blendend verkauft. Hebt die

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