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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unmöglich! Die Lösungen dieser Aufgaben müssen mathematisch exakt entwickelt werden. Das sind komplizierte Wege. Die hat man nicht einfach so im Kopf. Selbst wenn man Einstein hieße, ginge das nicht. Herr Kollege, gibt es bei Ihnen zu Hause für den Mathematikunterricht ein Buch für die Hand des Lehrers, in dem die Lösungen stehen?«
    »Nein.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Ganz sicher.«
    »Mir ist das ein Rätsel. Ich habe nämlich so ein Lösungsbuch auf dem Pult, wenn wir die Klassenarbeiten schreiben, und Corinnas Lösungen haben das gleiche verkürzte Schema wie in diesem Buch!«
    Es blieb bei dem Erstaunen, man ging der Sache nicht weiter nach. Auf dem Gymnasium war man stolz, in Corinna die beste Schülerin seit Jahrzehnten zu haben. Überall eine Eins, nur in Turnen und Religion nicht. Sie weigerte sich, an den Geräten zu turnen. Mit der Begründung: »Ich will kein Krüppel werden wie Angelika.« Das war eine Frechheit, denn die Mitschülerin Angelika war ein kräftiges, gesundes Mädchen. Vier Monate später kam sie bei einem Sprung über den Hochtisch so unglücklich auf, daß sie sich einen komplizierten Beinbruch zuzog. Das linke Bein blieb um drei Zentimeter verkürzt. An Corinnas ahnungsvolle Bemerkung dachte auch da niemand mehr.
    Im Religionsunterricht, der in den oberen Klassen mit Philosophie gekoppelt war, vertrat sie die Meinung, daß die Wunder Jesu erklärbar seien. Damit eckte sie natürlich an. Und dann geschah wieder etwas Seltsames. »Es gibt keine Wunder!« sagte sie. »Paßt mal auf.« Vor den Augen der Klasse und des Religionslehrers starrte sie mit ihren großen schwarzen Augen unverwandt auf ein Buch, das auf dem Lehrerpult lag. Und plötzlich bewegte sich ganz langsam die obere Seite, richtete sich auf und blätterte sich um. Damals beklatschte alles begeistert diesen Zaubertrick, und man bot Corinna die tollsten Dinge, wenn sie den Trick verrate. Sie konnte es nicht – es war ja kein Trick.
    Doerinck setzte sich jetzt betroffen im Bett auf und sah zu seiner schlafenden Frau hinüber. Das war es! Corinna hatte es bei der Untersuchung ihrer Mutter auch diesmal wieder gezeigt: Sie sah durch die Dinge hindurch! Und wenn damals das mathematische Lösungsbuch auf dem Pult lag, dann hatte Corinna die Lösungen eben einfach abgelesen. Durch das geschlossene Buch hindurch abgelesen!
    O Gott im Himmel, dachte Doerinck und atmete schwer. Das ist meine Tochter? Ich kann es nicht begreifen, aber ich muß lernen, es so gut wie möglich zu akzeptieren und damit zu leben.
    Meine Tochter!
    Die Erinnerungen stoben vorüber. Da war doch auch noch die Sache mit Dr. Ewald Hambach, dem Hausarzt der Familie Doerinck. Vor genau drei Jahren. Der Doktor, seit über zwanzig Jahren mit den Doerincks befreundet, gestand eines Abends bei einem Glas Wein: »Auch Tiger bekommen wackelige Zähne. Und nicht jeder, der Eis verkauft, kann auch Eis machen …«
    »Soll das ein Denkrätsel werden?« fragte Doerinck zurück. »Was ist los, Ewald?«
    »Ich habe eine massive Prostatitis.«
    »Das dürfte dich als Arzt doch nicht schrecken.«
    »Und wie! Bei jedem anderen – das ist fast typisch – gibt man Tetracycline, und nach ein paar Tagen ist die Angelegenheit vergessen. Nicht bei mir! Das gesamte Spektrum der Antibiotika habe ich durch, aber es rinnt und rinnt … Seit nunmehr neun Wochen.«
    »Du solltest mal zu einem vernünftigen Arzt gehen!« hatte Doerinck noch gefrotzelt. Und Dr. Hambach hatte mit einem schiefen Grinsen geantwortet: »War ich. In Münster bei dem Urologen Professor Schmelzer. Und was höre ich da? Schmelzer untersucht mich und sagt fröhlich: ›Jaja! Die Prostata sitzt da und lauscht, wie der Urin vorüberrauscht …‹ Dann verschreibt er mir ein Mittel, das ich schon vor Wochen als ergebnislos abgesetzt habe. Wie gesagt, es ist zum Kotzen.«
    An diesem Abend kam Corinna von ihrem Teppichatelier herüber zu Besuch. Sie nannte Dr. Hambach Onkel, denn er gehörte ja zur Familie, auch wenn er bei den unanständig gesunden Doerincks nichts verdienen konnte. Sie gab ihm die Hand, hielt sie einen Augenblick fest, und Hambach hatte das Gefühl, seine Hand liege in einem warmen Backofen. »Du hast ja noch immer die Prostataentzündung«, sagte sie leichthin.
    »Euer Informationssystem ist ja geradezu phänomenal!« Dr. Hambach verzog das Gesicht. »Gibt es hier eingebaute Mikrofone?«
    »Wenn du zwei Minuten stillstehen kannst, Onkel Ewald, will ich es versuchen«, sagte Corinna und legte die

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