Die strahlenden Hände
übernehmen. Der Chef war eine Woche zu einem Kongreß in Tokio. Er war jetzt überhaupt mehr unterwegs als zu Hause, seitdem er eine Leber verpflanzt hatte, wenn auch mit moribundem Ausgang. Immerhin war die Technik neu, und die demonstrierte er nun in der ganzen Welt und sorgte für die Unsterblichkeit seines Namens. Die Verantwortung für die Klinik trug Willbreit.
Also Freitag, ab vierzehn Uhr.
Er trug es gewissenhaft in den Terminkalender ein, über den durchgestrichenen ›Lernschwestern‹.
»Fahrt nach Hellenbrand. Ljudmila Doerinck.« Und dahinter, in Klammern: »Kamera nicht vergessen.«
Später, nach einem Aufenthalt in der Intensivstation, wo drei kritische Fälle lagen, gab er einem inneren Drang nach und rief seinen Freund Dr. Erasmus Roemer an. Dr. Roemer war Richter am Landgericht Münster und ein Studienkollege Willbreits. Sie gehörten jetzt als Alte Herren der gleichen studentischen Verbindung an und sahen sich regelmäßig am Stammtisch. Sie mochten sich, im Gegensatz zu ihren Frauen, die sich haßten. So etwas verstärkt nur noch eine Männerfreundschaft.
»Du, sag mal, Erasmus«, fragte Willbreit ohne Umschweife, »was weißt du von sogenannten Gesundbetern?«
»Das ist eine Münsterländer Spezialität!« Dr. Roemer lachte fett. Er wog 250 Pfund und schlug alle Warnungen seines Freundes Willbreit in den Wind, der ihm Zucker, Gicht, Herzrhythmusstörungen, Aderverkalkung, Venenverschluß und eine ganze Reihe von abscheulichen Krankheiten versprach. Die schlimmste war Impotenz.
Sein Lachen war wie ein Gebrüll. Wer ihn nur oberflächlich kannte, zweifelte daran, daß Roemer jemals ein guter Richter sein konnte. Ein Freund von Frauen, Fressen und Saufen – so einem mußte doch ein Kochbuch lieber sein als ein Gesetzbuch. Aber das täuschte. Dr. Roemer galt als der schärfste Hund im Gericht und saß der Ersten Strafkammer vor. Der Angeklagte, der erfuhr, sein Prozeß käme vor die Erste Strafkammer, beklagte schon im voraus sein Schicksal.
»Was ist mit Gesundbetern?« dröhnte Dr. Roemer. »Hast du einen auf deinem Tisch liegen und suchst jetzt die Krankheit?«
»Es war eine rein rhetorische Frage. Ich lese gerade etwas über diese Menschen. Hast du Erfahrungen mit ihnen?«
»Nee.«
»Kennst du welche? Vom Hörensagen vielleicht …«
»Auch nicht. Das bleibt ›im Lande‹, wie man so sagt. In den ländlichen Gegenden sollen die Bauern noch immer ihre weisen Frauen verehren. Vor allem die Tierärzte klagen darüber. Eine uralte Domäne der Gesundbeter ist das Besprechen von Warzen. Und sie haben tatsächlich Erfolg damit. Ich erinnere mich an meine Großmutter. Sie lebte in der Gegend von Ochtrup. In einem Dorf in der Westerbauerschaft. Damals war ich sieben Jahre und staunte Bauklötze, als Oma von Woche zu Woche vorzeigte, wie ihre zwei großen Warzen an der linken Hand verschwanden. Einmal nahm sie mich sogar mit. Da sah ich ein altes Weib, das auf Omas Hand spuckte und dann Gebete oder sonst was murmelte. Ich schwöre dir: Omas Warzen gingen weg und kamen auch nicht wieder. Aber das ist lange her, Thomas, fast dreißig Jahre.« Roemer räusperte sich. »Was hast du denn mit Gesundbetern?«
»Ich lese hier was, habe ich ja schon gesagt. Mir ist eins nur nicht klar: Machen sich solche Scharlatane nicht strafbar?«
»Nicht, solange sie es nicht berufsmäßig tun. Und solange sie kein Geld nehmen. Aber selbst, wenn sie's für Geld tun, sind sie weniger für die Justiz interessant als für das Finanzamt. Es ist immer schwer, Verstöße gegen das Heilpraktikergesetz nachzuweisen. Wo kein Kläger ist, gibt's keine Verfolgung. Und wer sich einmal in die Hand eines Gesundbeters begibt, der wird den Mund halten, auch wenn's nachher schiefgegangen ist. Die Blamage und die Verhöhnung sollen nicht auch noch dazukommen. Nur dem Finanzamt ist das egal, es liegt ja auch mit dem Höchstsatz bei den Huren mit im Bett; da gibt es sogar amtliche Schätzwerte.«
»Man kann also nichts gegen einen Gesundbeter unternehmen, wenn er es rein privat und unentgeltlich macht?«
»Nein.«
»Danke für die Auskunft, Erasmus.« Willbreit legte auf.
Aus dem Archiv ließ er sich die Röntgenbilder von Ljudmila Doerinck bringen, klemmte sie vor den Lichtkasten und betrachtete sie stumm. Das alte Lied: mindestens ein Jahr zu spät. Der Isotopen-Test gab nicht viel Aufschluß über eine Metastisierung in die Leber, aber sie war da, das stand außer Zweifel; das sagte die Erfahrung von Hunderten
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