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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Arbeit zu erledigen.
    »Hier Willbreit«, sagte der Arzt und gab seiner Stimme einen forschen Klang. »Das trifft sich gut! Sie selbst, gnädige Frau. Darf ich fragen, wie es Ihnen geht?«
    »Gut«, antwortete Ljudmila schlicht. Ihr war bewußt, wie dieses eine Wort auf Willbreit wirken mußte, der eine ganz andere Auskunft erwartet hatte.
    »Das ist ja eine fabelhafte Mitteilung. Keine Schmerzen mehr?«
    »Keine, Herr Professor.«
    »Blut im Stuhl?«
    »Nichts mehr …«
    »Keine Gewichtsabnahme?«
    »Im Gegenteil, und das regt mich jetzt am meisten auf …«
    »Ihnen geht es also objektiv gut, gnädige Frau?« Das ›objektiv‹ drückte diskret sein Mißtrauen aus, aber Ljudmila kannte sich mit solchen Feinheiten nicht aus. »Sie sind in Behandlung?«
    »Ja.«
    »Eine Kommunikation ist immer gut und nützlich. Würden Sie mir wohl den Namen des Sie behandelnden Kollegen nennen?«
    »Es ist meine Tochter«, sagte Ljudmila einfach.
    Das war der kleine Satz, durch den das Leben der Doerincks und ihrer gesamten Umwelt verändert werden sollte.
    Dr. Willbreit schwieg einen Augenblick, betroffen und wie ins Gesicht geschlagen. Um diese Information gründlich zu untermauern, fragte er beherrscht:
    »Wir hatten für Sie ein Bett reserviert, gnädige Frau. Können wir es demnach anderweitig vergeben? Die Warteliste ist …«
    »Ich komme nicht!« unterbrach ihn Ljudmila. »Verfügen Sie über das Bett, Herr Professor. Ich brauche nicht mehr operiert zu werden.«
    »Das ist wirklich eine gute und erstaunliche Nachricht.« Willbreits Stimme klang jetzt doch etwas gepreßt und mit gebremster Erregung. »Ihre Tochter behandelt Sie also. Soviel ich mich erinnere, ist sie keine fertige Medizinerin. Ich darf wohl auf diese Problematik hinweisen, gnädige Frau. Können Sie mir kurz schildern, wie Ihre Tochter Sie behandelt? Chemotherapeutisch?«
    »Nein. Mit den Händen.«
    »Wie bitte?«
    »Sie streicht mit der flachen Hand über meinen Leib …«
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein.«
    »Dann ist es mir, als ob ich innerlich brenne … aber es ist ein angenehmes Feuer. Und die Schmerzen sind weg, die Blutungen, die Durchfälle … wirklich, es geht mir sehr gut.«
    »Gratuliere.« Willbreits Stimme war etwas gedehnt. »Das Gespräch mit Ihnen, gnädige Frau, war höchst interessant und informativ. Darf ich mir erlauben, mich gelegentlich noch einmal nach Ihrem Befinden zu erkundigen?«
    »Immer, Herr Professor.« Und dann fügte sie etwas hinzu, was Willbreit wie einen Stoß in den Magen traf: »Ich bin ja so glücklich, daß ich nicht operiert werden muß.«
    Willbreit legte auf, sah etwas dümmlich auf die Akte Doerinck vor sich auf dem Tisch und gab sich ganz seinem Erschrecken hin.
    Sie behandelt die Mutter mit Handauflegen. Sie behandelt einen Kolonkrebs mit der bloßen Hand. Du lieber Himmel – das ist ja ein Verbrechen!
    Willbreit bestellte bei seiner Sekretärin ein Kännchen sehr starken Kaffee und überlegte dann angestrengt, was man unternehmen könnte. Hatte es einen Sinn, die Staatsanwaltschaft anzurufen? Da war wieder das Recht auf den eigenen Körper, und keiner konnte bestraft werden, wenn er nicht zum Arzt ging. Es war auch keine Straftat, wenn jemand im häuslichen Kreis einen Unterbauch streichelte und daran glaubte, das könne helfen. Dummheit und Aberglaube kann man nicht verurteilen, solange sie kein öffentliches Ärgernis werden. Aber etwas mußte getan werden! Er war jetzt Mitwisser einer unverantwortlichen pseudomedizinischen Handlung. Und er war Mittäter am schrecklichen Ende eines Menschen, wenn er jetzt schwieg und den Standpunkt bezog: Was geht's mich an, was da in dem kleinen Hellenbrand passiert? Sie verweigert die ärztliche Hilfe – na, was soll's? Ich habe in der Klinik 275 Operierte, die mich brauchen. 275 Betten voll hoffender Menschen, die auf ärztliches Wissen und chirurgisches Können vertrauen. Diese Frau Doerinck legen wir ab … Akte ins Archiv.
    Aber Willbreit konnte das nicht. Mit den Händen! durchfuhr es ihn immer wieder. Einen Kolon mit der bloßen Hand! Streicheln. Und die Blutungen hören auf, die Schmerzen, alle anderen Symptome – so etwas gibt es einfach nicht!
    Er zog seinen Terminkalender zu sich heran, blätterte die dicht beschriebenen Seiten durch und suchte eine Lücke. Ja, am Freitag, da war es möglich. Den Nachmittag für die Schulung der Lernschwestern konnte man an den Zweiten Oberarzt, den Kollegen Dellinger, weitergeben. Auch die Abendvisite konnte er

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