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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihren Fingern und dem Körper der Frau. Es war, als wenn man einen Schalter umdreht, und das Licht geht aus.
    Verwundert starrte Corinna auf ihre Hände. Noch zweimal strich sie über den kranken Magen … sie spürte nichts mehr, es gab keinen Kontakt mehr … es waren leere, gewöhnliche Hände, wie jeder Mensch sie hatte.
    »Es … es ist gut …«, sagte sie mit belegter Stimme. »Sie können gehen.«
    Die Frau nickte und blickte Corinna wie eine Heilige an. »Soll ich morgen wiederkommen?«
    »Nein!«
    »Wann darf ich kommen?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie ließ die Frau stehen und ging schnell in den hinteren Raum. Dort sank sie auf das Bett und starrte entsetzt vor sich hin. Vor der Hochzeit war das Zimmer neu eingerichtet worden; ein komplettes Schlafzimmer in heller Eibe.
    Nach einer Minute kam Marius ins Zimmer. Er hatte die Frau verabschiedet und den nächsten wartenden Kranken um etwas Geduld gebeten. Erschrocken kam er zu Corinna und umfaßte ihren Kopf. »Was ist los, Cora? Du lieber Himmel, was hast du denn?«
    »Es … es hat sich zum erstenmal bewegt«, sagte sie leise.
    »Das ist wundervoll, Cora!« Er küßte sie auf die Stirn und streichelte sie zärtlich. »Das ist wirklich eine große Stunde.«
    Sie nickte, starrte ihn mit unergründlichen Augen an und atmete ein paarmal tief auf. Mit einem Satz sprang sie plötzlich hoch, holte ein dünnes Glas, stellte es auf den Tisch, preßte die Lider zusammen, konzentrierte sich so intensiv, daß ihr Gesicht völlig verhärtete, der Mund sich zusammenkrampfte und die hervorstechenden Backenknochen die Haut zu sprengen drohten. Ihre Hände fuhren vor, schwebten vor dem Glas, die Finger spreizten sich. Eine ungeheure Energie mußte jetzt aus ihr wegstrahlen … aber nichts geschah! Das Glas zersprang nicht, sie spürte nicht das Wegschleudern von Energie, wie tot waren diese Finger – nein, nicht tot! Normale Hände waren es, die sich jetzt um das Glas legten und es zerpreßten.
    Irritiert und verständnislos stand Marius neben ihr und fand die Sprache erst wieder, als die Scherben des Glases zu Boden fielen und mit ihnen einige Blutstropfen.
    »Cora, du hast dich ja geschnitten!« rief er. »Einen Moment, ich hole sofort ein Pflaster! Warum hast du denn das Glas zerdrückt …«
    Corinna warf den Kopf in den Nacken. So sah man ihre Augen nicht; sie waren von Staunen und Entsetzen zugleich durchdrungen. Schließlich löste sich ihr verkrampftes Gesicht.
    »Schick sie alle weg, Marius«, sagte sie hohl. »Alle …«
    »Cora, wir haben noch neun Patienten bestellt.«
    »Alle!«
    »Was soll ich ihnen denn sagen?«
    »Schick sie weg!« schrie Corinna hell und durchdringend. »Alle weg!« Sie warf ihre Hände empor, preßte sie auf ihr Gesicht und drehte Marius den Rücken zu. »Keiner soll wiederkommen.« Ihre Stimme beruhigte sich, aber nun war sie fast nicht mehr zu verstehen. »Ich kann nicht mehr … es geht nicht mehr … ich habe keine Kraft mehr … es ist vorbei … Ich habe leere Hände …«
    »Cora!« Er stürzte zu ihr, riß sie herum und drückte sie an sich. Ihr Kopf fiel gegen seine Schulter, und sie begann, haltlos zu weinen. Der Moment des Begreifens war auch bei ihm wie ein Blitzschlag. Gegenseitig hielten sie sich fest und gaben sich den Augenblicken der Fassungslosigkeit hin. Marius war der erste, der die Sprache wiederfand. »Wie … wie hast du das gemerkt …«, stammelte er.
    »In dem Augenblick, als das Kind sich bewegte. Mit der ersten Regung war alles vorbei. Meine Hände … nichts mehr. Nichts! Einfach weg!«
    »Das Kind …« Er preßte sie noch fester an sich. »Du glaubst … das Kind … die ganze Kraft, oder wie man es nennt …«
    »Es … es fließt in sein Leben …«, weinte sie und schlang die Arme um ihn. »Marius, ich bin so glücklich … Ich bin ein Mensch wie alle Menschen … keine sibirische Hexe mehr … keine ›Strahlenden Hände‹ … Ich bin Corinna Herbert und bekomme ein Kind … Welch ein Wunder ist das …«
    Es dauerte eine Woche, bis man begriff, daß Corinnas Hände nicht mehr heilen konnten. Noch immer kamen die Autos, fuhren die Omnibusse vor, standen die Heilungsuchenden diskutierend vor der geschlossenen Tür des Zeltes. Was auf dem großen Schild stand, das Marius gemalt hatte, glaubte niemand: WIR BEDAUERN MITTEILEN ZU MÜSSEN, DASS CORINNA NICHT MEHR HELFEN KANN. BITTE GEHEN SIE ALLE NACH HAUSE. WIR DANKEN IHNEN.
    Die Buden rund um das Zelt machten noch einmal ein großes Geschäft. Enttäuschung

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