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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Operationen.
    Und so etwas behandelt man mit dem Streicheln der flachen Hand …
    Willbreit knipste das Licht im Lichtkasten aus, riß die Röntgenbilder aus der Klemmvorrichtung und schob sie in das große Kuvert.
    Am Freitag weiß ich mehr, dachte er. Am Freitag wird auf den Tisch geschlagen. Man darf ja nicht zusehen, wie da ein Menschenleben weggeworfen wird …
    *
    Es sollte die neunzehnte Behandlung sein, die Corinna an ihrer Mutter vornahm, als Dr. Willbreit – unangemeldet – vor dem Lehrerhaus in Hellenbrand hielt. Er hatte sich unterwegs erkundigt, nur einmal, und das Haus schnell gefunden. In Hellenbrand kannte jeder den Konrektor Doerinck. Um so mehr fiel Willbreit auf; er fuhr einen Maserati-Sportwagen, und es war wirklich das erstemal, daß man in Hellenbrand ein solch exotisches Auto sah. Daß er bei Lehrer Doerinck hielt, machte die Sensation perfekt. Wie kam der Lehrer zu einem Umgang mit einem Maserati-Besitzer?
    Doerinck saß in seinem Arbeitszimmer und sah eine Klassenarbeit der 7. Klasse durch. Deutschunterricht. Ein Aufsatz. Thema: ›Was mir ein Baum erzählen kann‹. – Was die dreiundzwanzig Schüler und Schülerinnen da schrieben, war grauenhaft. Der Mangel an Phantasie und sprachlichem Ausdruck wurde von Jahr zu Jahr größer und alarmierender. Das Sprachgefühl zerfledderte immer mehr. »Dieses Volk wird nie mehr einen Schiller, einen Kleist oder einen Hölderlin hervorbringen«, sagte Doerinck einmal in einer Lehrerkonferenz. »Selbst einen Konsalik wird man in fünfzig Jahren bestaunen – und das will schon was heißen!« Wie viele Lehrer mochte auch er Konsalik nicht, ohne das eingehender begründen zu können. »Der eine mag Hammelfleisch, dem anderen klebt es am Gaumen«, sagte er einmal. »Die Geschmäcker sind eben – Gott sei Dank! – verschieden.«
    Auch hier, beim Thema ›Was mir ein Baum erzählen kann‹, überfiel ihn, wie gesagt, wieder die triste Stimmung eines Menschen, der auf einen Niedergang blickt.
    Doerinck erhob sich, als er hörte, daß ein Wagen vor seiner Einfahrt hielt und schob die Gardine zurück. Einen Maserati kannte er nicht, aber er war überzeugt, daß dort ein Vermögen bremste. Auch den Fahrer kannte er nicht. Der Ankömmling blieb im Vorgarten stehen, blickte an dem Haus empor und kam dann, seine Aktentasche schlenkernd, auf den Eingang zu.
    Er will wirklich zu uns, dachte Doerinck. Nein, er hat sich nicht geirrt. Tatsächlich, er drückt auf die Klingel. Na, wir werden gleich wissen, was er will. Corinna ist da und wird öffnen.
    Er ging zu seinem Schreibtisch zurück, klappte die Kladde, die er gerade zensiert hatte, zu und wartete. Es dauerte nach seiner Schätzung keine Minute, und Corinna kam ins Zimmer. Sie schien etwas aufgeregt zu sein.
    »Paps, wir haben Besuch.«
    »Ich habe ihn vorfahren sehen. Ein tolles Auto. Wer fährt so einen Schlitten?«
    »Professor Dr. Willbreit ist gekommen.«
    »Na prost!« Doerinck zog den Schlips hoch und griff nach seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing. »Hat Matjuschka ihn gerufen? Ich hatte keine Ahnung davon.«
    »Mama ist völlig überrascht. Er ist von allein gekommen. Küßt Mama die Hand und sagt: ›Sie sehen blendend aus, gnädige Frau.‹ Und zu mir sagt er: ›Und Sie sind gewiß die Tochter?‹ – Da war ein Unterton in der Stimme, Paps, der gefällt mir nicht.«
    »Nur Ruhe, Mädchen.« Doerinck zog die Hose höher über seinen kleinen Bauchansatz. »So ein Auto! Die Ärzte müssen sich ja dumm und dusselig verdienen. Komm, das scheint interessant zu werden.«
    Im Wohnzimmer saß Dr. Willbreit im besten Sessel, und Ljudmila war gerade dabei, ihm einen Kognak zu bringen. Als Doerinck eintrat, sprang der Arzt sofort auf und machte eine Verbeugung:
    »Willbreit. Ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich so unangemeldet und vielleicht auch unpassend …«
    »Es freut mich, Sie kennenzulernen«, schnitt Doerinck die Höflichkeitsfloskeln ab. Ein eleganter Mann, dachte er dabei. So jung schon Professor. Er kann noch keine Vierzig sein. Muß eine Kanone in seinem Fach sein, sonst wäre er nicht Erster Oberarzt der Uni-Klinik. »Bitte, behalten Sie doch Platz«, sagte er. »Meine Tochter kennen Sie bereits.«
    »Am Telefon und jetzt auch in Natur.« Er sprach Natur französisch aus. Natüür … Doerinck fand das etwas affig, aber vielleicht war das die Art der oberen Gesellschaft, sich zu artikulieren. Wer einen solchen Wagen fährt, darf auch Natüür sagen. »Mein Besuch muß Sie

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