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Die strahlenden Hände

Die strahlenden Hände

Titel: Die strahlenden Hände Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Umwelt ist anders, Fräulein Doerinck. Neben den Glücklichen gibt es die, die Opfer sehen wollen, und sie sind immer in der Mehrzahl! Das ist ein Phänomen dieser Menschheit: die Wollust der Zerstörung. – Ich bin am Sonnabend frühzeitig bei Ihnen!«
    Langsam legte Corinna den Hörer zurück auf das Telefon. Von allen Seiten nur Warnungen; nun auch von Professor van Meersei. Auf allen Seiten nur die Furcht vor Auseinandersetzung und verbissener Feindschaft. Überall nichts als versteckte Angst. Warum war es nicht möglich, ganz einfach zu sagen: Ja, Ihre Hände können heilen, wir sehen es, wir akzeptieren das, es ist nun mal so. Warum sofort die Drohung: Die vernichten wir! Sind die Kranken nicht wichtiger als ein Lehrbuch?
    Auf einmal war sich Corinna klar, daß es falsch gewesen war, dem Fernsehen von ihren Heilungen und über ihr Leben zu erzählen, von der Energie aus ihren Händen und von den Hoffnungen, die sie hatte. Das gab den noch unbekannten Gegnern genug Munition, um ein Sperrfeuer auf sie zu konzentrieren.
    Sie schloß ihre Scheune ab, fuhr in den Ort zu ihren Eltern. Ihren Vater traf sie in einer ausgesprochen tatendurstigen Stimmung an. Es war, als habe sich die Zeit zurückgedreht: Nicht mehr der sehr ruhig gewordene Lehrer und Konrektor Stefan Doerinck saß am Kaffeetisch und aß Ljudmilas frisch gebackenen gedeckten Apfelkuchen, sondern es war etwas von dem damaligen Draufgänger im Kaukasus zurückgekehrt, etwas von dem längst vergessenen Kerl, der im Krieg fünf Tage lang einen Brückenkopf mit zehn Mann hielt, bis jenseits des Flusses die deutschen Bataillone sich geordnet hatten und zu einem planmäßigen Rückzug fähig waren. Er hatte dafür das Deutsche Kreuz in Gold erhalten, das ›Spiegelei‹, wie es die Landser nannten, aber er hatte es nie getragen, denn von dem Brückenkopf waren nur zwei Mann zurückgekommen: er und ein Gefreiter mit einem Schulterschuß. Er hatte nie begriffen, daß er überlebt hatte.
    »Komm, setz dich, Cora«, sagte Doerinck zu seiner Tochter und wies auf einen Stuhl. »Ein Stück Kuchen?«
    »Was hast du, mein Liebling?« fragte Ljudmila sanft. Eine Mutter spürt viel früher als ein Vater, wenn ein Kind Sorgen ins Elternhaus trägt. »Gibt es immer noch Schwierigkeiten wegen der Zeitung?«
    »Ein berühmter Professor aus Holland hat mit mir telefoniert. Er kommt am Sonnabend.«
    »Schmeiß ihn raus!« Doerinck schlürfte einen Schluck des heißen starken Kaffees. »Wirf alle raus! Ich bin dabei, es auch zu tun. Welche kriecherische Feigheit ist plötzlich um uns! Der Bürgermeister träumt von einem Chaos. Der Herr Rektor scheißt sich in die Hosen beim Gedanken an den Schulrat. Die Nachbarn grüßen verklemmt oder weichen einem aus. Aber da kennen sie Doerinck schlecht!«
    »Übermorgen wird das Fernsehen einen Bericht über mich bringen, Papuschka.«
    »Was?« Doerinck sprang so wild auf, daß sein Stuhl umkippte. »Du hast die Burschen reingelassen? Cora! Bist du denn verrückt geworden?«
    »Ich habe keinen Anlaß, mich zu verstecken. Ich habe nichts Schlimmes getan. Ich habe nur geholfen. Das habe ich dem Fernsehen gesagt.«
    »Und übermorgen wissen zig Millionen, daß in Hellenbrand ein Mädchen mit den Händen sogar Krebs heilt. Na prost! Peters Chaos wird also Wirklichkeit. Überblickst du überhaupt, was du da in Gang gesetzt hast?«
    »Ein bißchen Intelligenz darfst du mir zutrauen, Papa.«
    »Und trotzdem?«
    »Gerade deswegen!« Corinna setzte sich an den Tisch, nahm ein Stück Apfelkuchen und sah zu, wie die Mutter ihr die Tasse voll Kaffee goß. Dann nahm sie Zucker und Sahne und rührte den Kaffee um. »Wenn mir Gott oder die Vorsehung oder irgendeine Materie oder sonst irgendwer oder irgendwas die Kraft gegeben hat, die Menschen zu heilen, dann sollen es die Menschen auch wissen. – Mamuschka, dein Kuchen schmeckt wundervoll …«
    »Ein Meer wird über uns hereinbrechen!« sagte Doerinck heiser.
    »Hast du Angst, Papuschka?« Corinna lächelte und schnitt ein neues Stückchen Apfelkuchen ab. »Wir können doch schwimmen …«

8
    Zwei Tage lang blieb es still im westfälischen Hellenbrand. Unangenehm still, wie Doerinck sagte, der diese Stille mit dem Vakuum verglich, das einem Tornado vorausgeht.
    Der Schulrat hatte sich nicht gemeldet. Vielleicht las er gerade diese Zeitung nicht. Rektor Ferdinand Hupp hatte sich beruhigt; er wußte ja noch nichts von dem Fernsehinterview, das Corinna gegeben hatte. Auch Bürgermeister Peter Beiler

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