Die strahlenden Hände
Sie, wie hart die Zukunft für Sie werden wird?« Dr. Wewes holte tief Atem und rauchte seine Zigarette zu Ende. »Ja, ich werde Professor Meersei für Sie interessieren.«
»Und wenn ich das gar nicht will?«
»Corinna, Sie haben den Darmkrebs Ihrer Mutter eintrocknen lassen …«
»Ja, und?«
»Sie sagen ja und wollen diesen großartigen Erfolg auf Hellenbrand beschränken? Das dürfen Sie einfach nicht. Professor van Meersei wird Ihnen die Tür zur internationalen Anerkennung aufstoßen. Sie sind eine Ausnahmeerscheinung, das müssen die Wissenschaftler doch akzeptieren! Diese Fachidioten können doch lernen, wie man den Menschen auf neuen Wegen helfen kann. Vielleicht gibt es eine Zukunft, an die nie jemand gedacht hat? Früher waren wir Ärzte auf Tastsinn und Gehör angewiesen. Wenn es in der Lunge rasselte, war klar: Da stimmt was nicht. Und war der Bauch bretthart, begann man zwischen einer Menge möglicher Diagnosen die richtige herauszusuchen. Wer hätte je geglaubt, daß man eines Tages in einen menschlichen Körper hineinsehen kann? Da kam Röntgen, und die Medizin explodierte angesichts der neuen Möglichkeiten. Heute gibt es kaum noch einen Winkel des Körpers, den man nicht kontrollieren kann mit den kompliziertesten Skopen.« Dr. Wewes hatte Appetit auf eine neue Zigarette, doch er unterdrückte seinen Drang. »Jetzt sind Sie da, Corinna. Wieder etwas völlig Neues, Unbekanntes, ja Unbegreifliches. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
»Ja. Aber ich habe nichts dazu zu sagen. Ich kann nichts erklären. Es ist einfach da in meinen Händen, in meinen Fingern. Ich kann nur sagen: Seht her, so ist es! Wird das genügen?«
»Für unsere Schulmedizin – nie!« Dr. Wewes strich sich mit beiden Händen über das Gesicht und merkte erst jetzt, daß er schweißnaß war. »Corinna, ich bin froh, daß ich gekommen bin. Und ich schäme mich, daß ich nachher wieder von Ihnen fortschleiche und Sie selbstverständlich in Münster und im Kollegenkreis verleugnen werde. Verachten Sie mich ruhig, nicht jeder ist ein Held. Aber bitte, behandeln Sie mich, dann bringe ich Ihnen Professor van Meersei.«
Eine halbe Stunde später fuhr Dr. Wewes nach Münster zurück. Eine eigenartige, wohlige Wärme spürte er im Körper. Corinnas Hände hatten den Bereich der Galle umkreist, und sie hatte leise gesagt: »Es geht. Ich fühle Ihre Krankheit. Ich habe Kontakt mit ihr. In meinen Fingerspitzen sticht es …« Dann hatte sie geschwiegen, ihr Gesicht wurde ernst und kantiger, die mandelförmigen Augen verengten sich zu einem Schlitz, in den Mundwinkeln erschienen tiefe Falten … schließlich strömte jene Wärme in Dr. Wewes' Leib, die jetzt noch, auf der Rückfahrt nach Münster, anhielt.
Ein Wunder. Man sollte es hinausrufen. Man sollte die Arme ausbreiten, überall, wo man Menschen traf, und ihnen zurufen: Ich habe es gespürt. Es gibt das Unbegreifliche.
Ein Halleluja für ein Wunder!
Aber Dr. Wewes würde schweigen und am Ärztestammtisch sagen: »Diese Streichelmaus, wie heißt sie noch mal, ach ja, Corinna Doerinck – die sollten wir vergessen. Das läuft sich tot. Eine Modeerscheinung. Das Volk braucht etwas, das es anhimmeln kann … aber so was geht immer wieder schnell vorüber, wie man weiß.«
Noch 'n Bier und Prost!
*
Am nächsten Morgen um zehn verstand das Fernsehteam die Welt nicht mehr: Statt wieder vor verschlossener Tür und verhängten Fenstern an der Scheune stehen und umkehren zu müssen, erlebten sie diesmal sozusagen ein Wunder. Corinna Doerinck – das haut dich um, was für ein Weib! – erschien vor dem Haus und winkte den Fernsehmännern zu.
»Kommen Sie rein!« sagte sie, als der Reporter sich ungläubig näherte und an einen ganz üblen Trick dachte. »Sie sollen alles hören und sehen, was Sie wollen.«
»Und … warum … warum das auf einmal?« fragte der Reporter verwirrt.
»Weil es nötig ist.« Sie sah den Fernsehmann scharf an, ihr Blick glitt an ihm hinunter, und dann meinte sie: »Die Narbe an Ihrer linken Hüfte ist ziemlich wulstig. Sie sind ein Narbentyp. Sagen Sie das bitte, wenn Sie mal wieder eine größere Verletzung haben …«
Der junge Fernsehreporter starrte Corinna ungläubig an, kratzte sich darauf die Brust und murmelte stockend: »Stark! Das ist stark! Das stimmt sogar … Bin in der Biskaya durch 'ne plötzliche hohe Welle auf eine Klippe geworfen worden. Das können Sie sehen? Durch die Hose?«
»So ähnlich.«
»Du meine Güte!« Der Reporter – er
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