Die strahlenden Hände
zu. »Was passiert ist, kann man nicht mehr rückgängig machen, aber ich werde versuchen, die gröbsten Auswüchse zu verhüten und den Ärger von Ihnen fernzuhalten.«
»Und wenn ich wirklich nur – eine Scharlatanin bin?« fragte Corinna provozierend.
Professor van Meersei hob die schmalen Schultern. »Das habe ich schnell heraus. Ich bin ja jetzt da und beobachte Sie.«
»Warum zucken Sie immer mit der Nase?«
»Ja, warum?« Meersei lächelte trüb. »Das weiß nur der liebe Gott … oder irgendein Nerv, der verrückt geworden ist. Man muß damit leben.«
»Das sagen Sie, ausgerechnet Sie? Hat Marikje Kerselaar das gesehen?«
»Natürlich.«
»Und was sagte sie?«
»Pieter, meinte sie – sie duzt jeden und würde auch unsere Königin duzen – Pieter, das mit der Nase hört nur auf, wenn man dir das Hirn einschlägt. – So ist sie eben.«
»Ich bin anders.« Corinna beugte sich vor, blickte Meersei tief in die Augen, hob die rechte Hand, formte sie wie eine flache Schale und ließ sie nahe über seiner Nase schweben. Meersei saß stocksteif in seinem Sessel, als sei er gelähmt. »Was spüren Sie jetzt?« fragte sie mit einer völlig fremden, dunkleren Stimme.
»Wärme …« Meerseis Augen wurden noch wäßriger. »Ihre … Ihre bio-plasmatische Energie …«
Nur eine Minute schwebte Corinnas Hand über Meerseis Gesicht, dann sank ihr Arm herab. Wie immer holte sie tief Atem, griff zur Zigarette und rauchte die ersten Züge gierig und mit geschlossenen Augen. Professor van Meersei saß noch immer steif im Sessel. Die Hitze auf seinem Gesicht verschwand, aber sie war nicht einfach weg, er spürte sie noch in sich, sie schien sich im Körper zu verteilen.
»Das war eine gute Demonstration«, sagte er leise. »So habe ich das erwartet.«
»In zehn Tagen haben Sie kein Nasenzucken mehr, Herr Professor.« Corinna sagte es mit noch geschlossenen Augen, zwischen zwei Zigarettenzügen. »Wenn es in zehn Tagen nicht vorbei ist, können Sie in alle Welt rufen: Vergeßt den Namen Corinna!«
»Und wenn meine Nase nicht mehr zuckt, werde ich in alle Welt rufen: Hier habt ihr den Beweis, daß der Mensch mehr ist als ein wohlgestalteter Zellhaufen. Es gibt eine Strahlung; das ist es auch, was unsterblich ist im Menschen. Es gibt keine Wiederauferstehung – es gibt ein Weiterleben in anderer Form!«
»Man wird uns beide für verrückt erklären.«
»Das wäre nichts Unbekanntes für mich«, sagte Professor Meersei sarkastisch. »Vielleicht ist es ganz gut, daß der Mensch nicht begreift, was und wie er eigentlich ist. Stellen Sie sich bloß vor, die Politiker verkehrten miteinander per Psychokinese – lauter aggressionsfreie Menschen! Was hätten sie dann noch zu tun? Ein Politiker bekommt doch sein Profil erst durch die Krisen. Meine liebe Corinna, es ist gar nicht so einfach, die Gaben der Natur auszunutzen.«
*
Am Abend lief der Fernsehfilm – das große Interview mit Corinna Doerinck, dem ›Wunder-Mädchen von Hellenbrand‹, wie der Sprecher sagte – über die Bildschirme.
Corinna sah die Sendung bei ihren Eltern. Sie hatte Professor van Meersei mitgebracht, und Stefan Doerinck vertrug sich hervorragend mit ihm vom ersten Augenblick an: Meersei liebte wie Doerinck einen guten Schluck Wein, war fast im gleichen Alter und aß ebenso leidenschaftlich gern. An diesem Abend hatte Ljudmila kaukasischen Schaschlik gemacht, mit Gurkensalat in saurer Sahne, viel Zwiebeln und Dill. Meersei sang ein Loblied und aß die Hälfte des Essens allein. Es war ein Rätsel, wieso er so dürr war.
Das Interview, raffiniert geschnitten und mit einem giftigen Kommentar unterlegt, war mehr eine Hinrichtung Corinna Doerincks als eine objektive Berichterstattung. Vor allem wurde darauf herumgeritten, daß Corinna ganz klar gesagt hätte, sie habe den Krebs ihrer Mutter geheilt. Einen inoperablen Krebs. Das stimmte nun gar nicht. Professor Willbreit wollte ja operieren – aber für einen cleveren Journalisten sind solche kleinen Unstimmigkeiten unwichtig. Es kommt auf die große Linie an. Und die hieß: Seht her, da will eine Frau Wunder machen! Mit den bloßen Händen! Können wir jetzt die Bibel vergessen?
»Infam!« sagte van Meersei gepreßt. »Einfach infam!«
»Was sind das bloß für Menschen?« Ljudmila hatte Tränen in den Augen. Sie saß auf dem Sofa, die Hände im Schoß, und war die ganze Sendung über schweigsam gewesen. Aber sie hatte ihren Mann beobachtet … Doerincks Gesicht arbeitete ununterbrochen.
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