Die strahlenden Hände
hieß Jakob Stein, nannte sich aber Jack Stone, weil er weitsichtig auf eine Sängerkarriere hoffte – legte dramatisch beide Hände über seinen Hosenschlitz. Corinna wandte sich schroff ab. Sie mochte solche Scherze gar nicht. »Wo können wir drehen?«
»Wo Sie wollen.«
»Hier? Im Teppichatelier? Oder haben Sie einen besonderen Behandlungsraum für die Kranken?«
»Nebenan, in der Werkstatt.«
»Das ist gut. Werkstatt … sehr gut! Ein phantastische! Name dafür.«
Es dauerte eine halbe Stunde, ehe die Beleuchtung und der Ton, vor allem aber die Plazierung in der Werkstatt so ausbalanciert waren, daß man drehen konnte. Der Reporter setzte Corinna an den Knüpfrahmen zwischen den bunten Wollspindeln und filmte zunächst, wie Corinna ein Paar Knoten des neuen Teppichs knüpfte. Dann holte die Kamera ihre Hände groß ins Bild und hielt sie fest. Später würde man bei der Tonmischung diese Aufnahme mit den Worten unterlegen: »Das sind die Hände, die heilen können. Die sogar Krebs austrocknen. Die strahlenden Hände. Oder sind es ganz normale Hände, die nun aus der Gutgläubigkeit der Kranken Geld scheffeln sollen?« – Das war keine Beleidigung, denn es war ja eine Frage! Die Antwort erwartete man von Corinna Doerinck.
Der junge Reporter saß nun Corinna gegenüber und sah seine große Stunde gekommen. Er ahnte, daß diese Reportage ein weltweites Echo haben könnte, wenn sie richtig – das heißt mit dramatischer Rücksichtslosigkeit – gemacht würde.
»Sie behaupten also«, fing er an, »mit Ihren Händen heilen zu können?«
»Nein«, antwortete Corinna und verblüffte damit das Fernsehteam.
»Nicht?«
»Ich behaupte es nicht, ich weiß es. Ich kann es beweisen.«
»Sie können wirkliche Heilerfolge nachweisen?«
»Ja.«
»Welche?«
»Namen werde ich nicht nennen. Aber ich kann Ihnen sagen, daß ich Bronchitis, Asthma, Herzrhythmusstörungen, Magengeschwüre, Ischias, Gastriten, Prostataentzündungen, Gallenblasenentzündungen, Harnröhrenverschluß, Erkrankungen der Herzkranzgefäße und noch vieles mehr heilen kann.«
»Und sogar Krebs!«
»Einmal ist es gelungen – bei meiner Mutter.«
»Nur durch Handauflegen?«
»Nein, durch eine Art Streicheln über den erkrankten Bezirk. Ich berühre nie einen Körper, aber es muß sich ein Spannungsfeld zwischen mir und dem erkrankten Organ aufbauen. Dieses Spannungsfeld ist die Kraft, die eine Krankheit tötet. Es ist ein bio-plastischer Energieblock, der auf die Zellen einwirkt. Die kranken Zellen veröden dabei, Entzündungen – vor allem an den Nerven – trocknen regelrecht aus, es gibt keine exsudativ-infiltrative Prozesse mehr.«
»Das klingt phantastisch und wissenschaftlich zugleich. Woher haben Sie die medizinischen Kenntnisse? Sind Sie Autodidakt?«
»Nein. Ich habe Medizin studiert.«
»Aber nicht zu Ende geführt? Warum?«
»Ich war zu oft anderer Meinung als meine Professoren. Ich habe sie mehrmals auf Fehldiagnosen aufmerksam gemacht – wer kann das ertragen?«
»Und Ihre Diagnosen stellten sich später als richtig heraus?«
»Ja. Alle.«
»Und das alles durch Ihre Hände. Stimmt es: Sie fühlen nicht nur mit den Händen, Sie sehen auch mit den Händen?«
»Das ist falsch ausgedrückt. Durch die Strahlung aus meinen Fingerspitzen kann ich lokalisieren, kann eine Krankheit genau umgrenzen und benennen. Man nennt das Dermooptik; das konnten schon die Ärzte im Altertum und die Medizinmänner der Naturvölker.«
Der Reporter jubelte innerlich. Jetzt hatte er sie, jetzt konnte er zuschlagen.
»Sie stellen sich also auf eine Stufe mit den Medizinmännern, etwa der Bantus oder der Neu-Guineer?«
»Nein. Ich wollte nur sagen: Es ist kein Wunder, nichts Außergewöhnliches, was ich mache. Man kennt es seit Jahrhunderten, nur hat man es nie ernst genommen.«
»Warum?«
»Weil es wissenschaftlich noch nicht voll erklärbar ist. Und was noch nicht ergründet ist, gilt in der Medizin nichts. Wer ist dagegen nicht schon alles angerannt. Welche Entwicklungen wurden da nicht schon bekämpft. Denken Sie an die Neuzeit: Professor Niehans mit seinen Frischzellen. Die THX-Behandlung. Die Auffassung, daß Krebs eine Ganzheitserkrankung des Körpers sein könnte und der Tumor nur die lokale Manifestation eines aus den Fugen geratenen Zellstoffwechsels. Bei den Schulmedizinern gibt es da nur ein schiefes Lächeln, und sie schneiden und bestrahlen und pumpen die menschlichen Körper weiterhin mit Chemie voll.«
»Und Sie streicheln,
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