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Die Strasse der Oelsardinen

Titel: Die Strasse der Oelsardinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Steinbeck
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es von Leben wimmelt und kreucht.
Doc zog die Gummistiefel an, setzte umständlich seinen Wetterhut auf, holte Eimer, Krüge und eine Brechstange hervor, stopfte ein paar Schinkenbrote in die eine, die Thermosflasche in die andere Rocktasche und stieg den Felsen hinab zum Ebbestrand. Suchend und sammelnd folgte er der sich zurückziehenden Flut auf dem Fuß, wendete mit der Brechstange die Uferkiesel um, fuhr dann und wann mit der Hand in das stehende Wasser und zog einen kleinen Polypen heraus. Der krümmte sich, wurde rot vor Zorn und spie schwarze Flüssigkeit über Docs Hand. Doch dieser warf ihn zu den anderen in einen Krug Seewasser, und meistens befand sich der Neuangekommene in einem solchen Zustand der Raserei, daß er seine Mitgefangenen anfiel. Auf diese Weise fing Doc zweiundzwanzig kleine Polypen und sammelte zwischendurch einige hundert Seeanemonen in seinem Holzeimer.
Der Morgen kam, die Sonne ging auf, die Beute wuchs. Zweihundert Meter weit wich das Meer, langsam von Doc gefolgt, bis zu einer Kette tangüberwachsener Klippen zurück. Hier senkte der Boden sich schroff in die Tiefe und gebot dem Vorwärtsdrang Einhalt.
Doc hatte nun seinen Bedarf so ziemlich gedeckt, sah aber trotzdem noch unter jeden Stein, neigte sich über jede Pfütze, das brodelnde, zappelnde Leben in seinem vielfarbigen Glanz zu betrachten.
Er hatte die Felsenschranke erreicht, von der in langen braunen Fransen der Seetang herabhing. Er blickte und lauschte in die schäumenden Wogen, die drohend gegen die Felsen schlugen: Wir kommen wieder, gleich kommen wir!
Der Sammler klomm über die von Seesternen geröteten Riffe, als er auf einmal unter dem Wasser etwas Helles emporschimmern sah. Doch ehe er es noch zu erkennen vermochte, war es wieder vom treibenden Seetang bedeckt.
Er ließ sich den glitschigen Felsen hinab und langte, sich mit der einen Hand an einen Felszacken klammernd, vorsichtig hinunter und schob das verschlungene braune Gewächs beiseite.
Weiß, von dunklen Haarsträhnen umflossen, sah ein Gesicht zu ihm empor. Der Körper war durch Gestein den Blicken entzogen. Doc wurde eiskalt. Es war ein schönes, junges Angesicht mit leicht geöffneten Lippen, es war, als lächle das Mädchen, getröstet und ruhevoll. Es lag nah an der Oberfläche. Im klaren Wasser erschien ihr Gesicht geisterhaft schön. Lange starrte Doc hinab. Der Anblick brannte sich tief in sein Gedächtnis.
Langsam zog er die Hand zurück. Wieder deckten die schwimmenden Ranken das Antlitz. Mit pochendem Herzen, die Kehle wie zugeschnürt, tastete Doc nach seinen Gerätschaften und stieg über die schlüpfrigen Steine zum Strand. Vor ihm her schwebte das Mädchengesicht.
Als er wieder trockenen Sand unter den Füßen hatte, setzte er sich und zog seine Wasserstiefel aus. In dem Krug sonderten sich die kleinen Achtfüßer voneinander ab, so weit sie nur konnten. Es sauste in Docs Ohren, es tönte und war wie Musik, wie der Ton einer hohen Flöte, und spielte eine Weise, die er noch nie gehört hatte. Sie stieg in Höhen empor, die für das menschliche Ohr nicht mehr vernehmbar sind, und er vernahm sie dennoch.
Gänsehaut überlief Docs Arme. Er erbebte; die Augen wurden ihm feucht wie im Anschauen großer Schönheit. Grau und klar waren die Augen des Mädchens, und das dunkle Haar flutete. Er würde das Bild nie mehr vergessen.
Der erste Wogenschaum sprühte über die Klippen. Die Flut nahte. Doc saß und lauschte der Melodie, während das Wasser über die Kiesel herankroch. Seine Hand ging im Takt auf und ab, die unheimliche Flöte spielte in seinem Hirn. Grau und klar waren die Augen, der Mund schien über den blanken Zähnen zu lächeln oder den Atem verzückt anzuhalten.
Eine Stimme weckte Doc auf. Über ihm stand ein Mann.
»Haben Sie gefischt?«
»Nein, nur gesammelt.«
»Was sind das für Dinger?«
»Baby-Octopoden.«
»Sind das nicht Seeteufel? Ich hab' gar nicht gewußt, daß es die bei uns gibt, und ich bin doch aus La Jolla!«
»Man muß danach suchen«, antwortete Doc ausdruckslos.
»Sagen Sie, was ist mit Ihnen?« fragte der Mann, »Sie sehen krank aus.«
Wieder klomm die Flöte in unbeschreibliche Höhen; in der Tiefe erklangen die Celli, die See kroch zum Strande hinan. Da schüttelte Doc die Musik ab und verscheuchte das Gesicht, verdrängte die Kälte aus seinem Körper. »Ist hier in der Nähe ein Polizeiposten?« fragte er.
»Ja, oben im Ort. Warum? Ist etwas passiert?«
»Draußen beim Riff ist eine Leiche.«
»Wo?«
»Gegenüber von

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