Die Strasse der Oelsardinen
Hopkins Marinestation drang das eintönige Gebell der Seelöwen. Der alte Chinese klapperte mit triefendem Korb vom Meer landeinwärts. Ein Wagen bog in die Cannery Row. Langsam fuhr Doc auf sein Haus zu. Er ist abgespannt, seine Augen sind rot. Er hält und sitzt einen Augenblick unbewegt, bis das Gerüttel der Fahrt ihm aus den Gehirnwindungen geht.
Er steigt aus, blickt verdutzt auf die baumelnde Haustür, die zerbrochenen Scheiben. Als sein Schritt auf der Treppe vernehmbar wird, züngeln die Klapperschlangen. Es ist, als lauschten sie mit den gespaltenen Zungen. Die Ratten rütteln wie besessen an ihren Gittern.
Doc eilt die Treppe empor. Die Müdigkeit scheint verflogen.
Rasch tritt er ins Arbeitszimmer, läuft durch Trümmer und Scherben von einem zum anderen Raum. Einmal bückt er sich nach einer zerschmetterten Platte und liest den Titel.
In der Küche ist das verschüttete Fett weiß geworden. Docs Augen sind rot vor Wut. Er sitzt auf der Couch, den Kopf geduckt. Er bebt vor Empörung, springt plötzlich auf, schaltet den Plattenspieler ein, legt eine Platte auf, senkt die Nadel. Doch nur ein pfeifendes Krächzen dringt an sein Ohr. Er biegt den Hebelarm wieder zurück, stellt ab und sinkt auf die Couch.
Auf der Stiege schwere, unsichere Schritte. Mit hochrotem Kopf tritt Mack ein, steht da in Unsicherheit. »Doc«, druckst er hervor, »ich und die Jungens -«
Erst war es, als sähe ihn Doc überhaupt nicht. Dann aber sprang er so wild auf, daß Mack zurückprallte. »Habt ihr das getan?«
»Nja, ich und die Jungens -« Schon hatte Docs kleine und harte Faust ausgeholt und knallte Mack ins Gesicht. Seine Augen loderten in tierischer Wut. Mack landete auf dem Fußboden.
Seine Lippen waren aufgerissen, ein Vorderzahn scharf nach innen gedrückt. »Steh auf!« herrschte Doc ihn an. Mack stand auf und ließ die Arme schlaff an den Seiten herunterhängen. Ein zweiter Schlag, ein kalt berechneter Strafstoß zwischen die Zähne, und von Macks Lippen rieselte das Blut. »Wehr dich, du Hundsfott!« schrie Doc ihn an und traf ihn abermals, daß die Zähne krachten und der Kopf zu wackeln begann. Aber Mack wehrte sich nicht. »Weiter, Doc...«, kam es aus seinem verquollenen Mund, »recht so...«
Doc konnte nicht mehr. »Du Hund...«, keuchte er, »dreckiger Lumpenhund du...« Er saß auf der Couch und starrte auf seine zerrissenen Knöchel.
Mack hockte auf einem Schemel und sah mit großen, schmerzlichen Augen auf Doc. Das Blut aus dem Mund ließ er laufen. Und in Doc klang ein Tönen auf. Langsam begann eine Introduktion Monteverdis und wurde zur grenzenlos einsamen, traurigen Klage Petrarcas um Laura: »Hor ch'el ciel e la terra...« Und durch die entsagenden Klänge, die da im Raum zu schweben schienen, sah Doc den zerbrochenen, blutigen Mund.
Mack saß sehr still. Es war, als höre er die Musik.
Docs Augen gingen zu dem Gestell, in dem das Monteverdi-Album stand. Dann fiel ihm ein, daß der Tonabnehmer zerbrochen war. Er stand auf. »Geh, wasch dich!« sagte er, ging hinaus und über die Straße in den Kramladen. Lee Chong wagte ihm nicht in die Augen zu sehen. Er holte zwei Flaschen Bier aus dem Eisschrank, nahm das Geld und sagte kein Wort. Doc ging wieder über die Straße.
Auf der Toilette säuberte sich Mack das Gesicht mit Klosettpapier, und in der Küche öffnete Doc eine Flasche, schenkte vorsichtig ein, wobei er das Glas schräg hielt, damit es weniger Schaum gab, füllte ein zweites Glas und trug beide ins Vorderzimmer. Als Mack, den Mund mit einem nassen Lappen betupfend, zurückkam, wies Doc mit dem Kopf nach dem Bier. Mack öffnete seine Kehle und goß den halben Schoppen ohne zu schlucken hinunter, seufzte tief und starrte ins Glas.
Doc goß wieder ein, setzte sich auf die Couch, fragte: »Was ist geschehen?«
Mack sah zu Boden. Ein Tropfen Blut fiel aus seinem Mundwinkel ins Bier. Er öffnete die zerrissenen Lippen: »Ich und die Jungens, wir haben dir ein Fest geben wollen, wir haben gedacht, du bist so um neun Uhr zurück ...« Doc verstand. »Es ist uns aus der Hand gerutscht, das Ganze... Soll ich jetzt sagen, es tut mir leid? Es wird mir leid tun, solange ich lebe; es ist immer das gleiche, das kenn' ich längst.« Er tat einen tiefen Zug. »Ich war einmal verheiratet - genau dieselbe Geschichte! Was ich so angepackt habe, wurde zu einer Katastrophe; das hat die Frau einfach nicht ausgehalten. Immer, wenn ich was Nettes getan habe, gab's eine Sauerei, das schönste Geschenk, war alles immer
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