Die Strasse des Horus
Frage.
»Nein, noch nicht«, sagte Ahmose. »Erst muss ich Nachricht von General Turi haben, dann entscheide ich, was wir tun. Er ist gegenüber vom Westtor stationiert, wo die Gestalten gesichtet worden sind. Ich schicke dir einen Läufer, Tchanni.« Der Mann verbeugte sich erneut und ging, als die Getreuen, die zu Fuß gehen mussten, eintrafen. Harchufs Gesicht tauchte neben Ahmose auf, blass und angespannt. Er hatte das Schwert gezückt.
Die Zeit verging. Ahmose spürte jeden Herzschlag, während er und seine Leibwache warteten. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, doch es gab wenig zu sehen.
Auf einmal erhob sich ein Gebrüll und wurde zum Dröhnen Tausender aufgeregter Stimmen. Harchuf stieß einen Schrei aus. Ahmose bewegte sich nicht, obwohl sein Herz einen Satz machte und ihm kurz übel wurde. Er hatte das Gesicht nach Westen gewandt und bemühte sich, etwas zu erkennen, irgendetwas, doch schließlich kam Meldung aus dem Osten. Einer seiner Herolde schrie ihm die Nachricht zu, noch ehe man ihn richtig sehen konnte. »Das Südtor geht auf!«, brüllte er. »Majestät, das Südtor!« Es ist kein Traum, schoss es Ahmose durch den Kopf, ehe er aus seiner Erstarrung erwachte. Ich habe gewonnen. Ich spüre es mit jeder Faser. Endlich gehört Auaris mir.
»Schicke zu Baqet«, sagte er ruhig. »Man soll die Brücken auslegen, Tchanni muss seine Männer auf der Stelle über den Graben führen.« Der Mann hatte sich kaum umgedreht, als ein Streitwagen heranbrauste und der nächste Herold herausstürzte.
»Majestät, die Stadt hat sich ergeben«, sagte er, und seine Stimme kippte vor Erregung um. »Männer auf der Mauer über dem Westtor haben es uns zugerufen, und das Tor geht auf. Die Generäle Turi und Kagemni haben Brücken auslegen lassen.«
»Gut. Dann sollen sie ihre Angriffstruppe so schnell wie möglich über das Wasser führen.«
»General Sobek-chu hat einen Läufer mit der gleichen Botschaft zu General Turi geschickt«, fuhr der Herold fort. »Das Königstor im Norden steht auch sperrangelweit offen.«
»Dann kann man davon ausgehen, dass sich auch das Horusstraßentor und das Handelstor öffnen«, sagte Ahmose. Gern hätte er Harchuf fest an sich gedrückt, ihn hochgehoben und tüchtig abgeküsst. »Gehe zum Nordhügel«, wies er den Herold an. »Richte General Cheti aus, dass er ihn auf gar keinen Fall verlassen darf. Die Horus-Division rührt sich nicht vom Fleck, die Tore bleiben fest geschlossen. Mir liegt nichts an einem Überraschungsangriff seitens Apophis’, der den Nordhügel zurückerobern will. Cheti bekommt Nachricht, wenn wir seine Männer brauchen.« Der Mann und sein Streitwagen brausten davon. Harchuf berührte Ahmose ehrfurchtsvoll am Arm.
»Meine Glückwünsche, Großer Horus«, sagte er. »Du hast gesiegt.« Der junge Mann klang so bass erstaunt, dass Ahmose lachen musste.
»Ein Wunder nach so langer Zeit, nicht wahr, Prinz Harchuf? Aber noch sind wir nicht innerhalb dieser verfluchten Mauern. Für Lobeshymnen ist es noch zu früh.« Er ging zu seinem Streitwagen und stieg hinter Machu ein. »Los«, rief er. »Wir stoßen zu General Baqet. Ich möchte mir ansehen, wie unsere Soldaten durch das Südosttor strömen.«
Machu fuhr am Kanal entlang, kam jedoch im Gedränge der Thot-Division schon bald nur noch langsam voran. Fünftausend Mann warteten darauf, das Wasser überqueren zu können. Sie schufen eine Gasse, als Chabechnet sie laut anrief, und Ahmoses Streitwagen rollte durch die Reihen, doch noch ehe Machu am Grabenrand hielt, wo jetzt eine Brücke lag, wusste Ahmose, dass irgendetwas nicht stimmte. Tchanni und seine Angriffstruppe standen unbeweglich. Baqet war bei ihnen. Er verbeugte sich, als Ahmose ausstieg, zu ihm ging und über das Wasser zeigte. »Was sollen wir tun, Majestät?«, murmelte er.
Die Einwohner strömten aus Auaris heraus, drängelten sich durch das Tor, eine sich langsam bewegende Masse Mensch, die sich wie dunkles Öl durch die Öffnung zu ergießen schien und sich beiderseits der Mauer verteilte. Und es kamen immer mehr. Sie schwiegen, abgesehen von quengelnden Kleinkindern und einer namenlosen schluchzenden Frau.
Zwei Gedanken schossen Ahmose gleichzeitig durch den Kopf. Wenn er sich einen Weg durch die dichte Menschenmenge bahnen lassen wollte, mussten seine Soldaten die Menschen ins Wasser stoßen. Und dann noch ernüchternder: Er wusste, er würde es nicht schaffen, den Befehl zum Abschlachten dieser dahinschlurfenden
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