Die Strasse des Horus
an. »Weiß jemand von euch, wohin er gegangen ist?«, fragte er laut. Niemand rührte sich, doch auf einmal stieß jemand einen Schrei aus, und eine junge Frau löste sich aus der Gruppe. Sie zeigte auf Ramose.
»Du!«, rief sie. »Dich kenne ich! Aus dem Badehaus hier in Auaris! Du hast dich neben mir gewaschen, und du hast einen Wachposten dabeigehabt. Der hat mir verboten, weiter mit dir zu reden, weil du Apophis’ Gefangener aus dem Süden warst und nach einer Prinzessin Tani gefragt hast.« Sie stand mitten im Raum. »Du heißt … du heißt…« Dann strahlte sie. »Du bist Ramose!«
»Ja«, sagte er zögernd. »Und du bist Hat-Anath, Tochter eines Unterschreibers bei einem von Apophis’ Viehaufsehern. Jetzt erinnere ich mich wieder.« Dann zuckte ein flüchtiges Lächeln um seinen Mund. »Entschuldige bitte, dass ich deiner Einladung, dich in deinen Räumen aufzusuchen, damals nicht gefolgt bin.«
»Was nicht ist, kann noch werden«, antwortete sie unverzüglich, erwiderte sein Lächeln und schämte sich überhaupt nicht für ihren unordentlichen Aufzug. »Es sei denn, du hast die Prinzessin gefunden.«
»Ich habe sie gefunden«, sagte Ramose leise, »habe sie aber wieder verloren.«
»Wo ist dein Vater?«, fuhr Ahmose scharf dazwischen. Hat-Anath deutete hinter sich.
»Da, und meine Mutter auch. Seit ihr mit der Belagerung Ernst gemacht habt, konnte mein Vater seiner Arbeit nicht mehr nachgehen.« Sie musterte Ahmose prüfend. »Man sagt, du hast das ganze Vieh im Delta abgeschlachtet wie vorher dein Bruder und du schlachtest auch uns ab. Das stimmt doch nicht, oder?«
»Nein«, stellte Ahmose sachlich klar. »Aber ich habe vor, diesen Palast niederzubrennen, und schlage deshalb vor, dass ihr die Weinkrüge Weinkrüge sein lasst, euch greift, was ihr könnt, und schnell aufbrecht. Meine Männer tun euch nichts.«
»Aber wohin sollen wir gehen, Majestät?« Hat-Anath hob die Hände. »Ich bin Ägypterin. Ich bin in Auaris geboren wie mein Vater, auch wenn mein Großvater Setiu war. Ich kenne nichts als das Delta!« Ahmose seufzte innerlich. Wir haben einen schmutzigen Krieg geführt, Kamose, du und ich, dachte er traurig. Aber welcher Bürgerkrieg ist nicht schmutzig? Wir sind gezwungen gewesen, die Unschuldigen mit den Schuldigen umzubringen, wenn wir frei sein wollten, und du, Hat-Anath, bist nur ein weiteres Opfer.
»Tut mir Leid«, sagte er laut. »Aber das ist nicht mein Problem. Wenn dein Vater noch Familie außerhalb der ägyptischen Grenzen hat, dann müsst ihr zu ihnen ziehen. Aber seid gewarnt.« Er hob die Stimme. »Verlasst den Palast.« Sie hätte noch einmal aufbegehrt, doch Ahmose hob einen warnenden Finger. »Nein«, sagte er. »Ich habe gesprochen.« Ramoses Miene war nicht zu deuten. Er starrte noch immer Hat-Anath an. »Ramose, willst du sie haben?« Ahmose war ein Einfall gekommen. Ramose fuhr zusammen.
»Sie haben, Ahmose?«, wiederholte er. »Wozu?« Ahmose gab es auf.
»Zu gar nichts«, sagte er müde. »Sobek-chu, lass uns gehen.«
Er und die anderen hatten kaum das Ende des Ganges erreicht, als sich Sobek-chus Befehlshaber der Angriffstruppe näherte. Er trug eine Fackel, und in ihrem Schein konnte man sein besorgtes Gesicht sehen, das sich aufheiterte, als er sie erblickte. Er verbeugte sich.
»Majestät, gut, dass ich dich gefunden habe. Vermutlich hast du gerade mit den Leuten in Apophis’ Gemächern gesprochen. Wir haben da eine Frau, die nicht bei ihnen sein will. Sie hat darauf bestanden, in ihren eigenen Räumen zu bleiben. Sie behauptet, sie ist Königin, darum mochte ich sie nicht zwingen. Sie hat darum gebeten, dass ich dich zu ihr bringe.« Sein Ton verriet seinen Ärger über so viel Dreistigkeit. Ahmoses Blut begann zu rauschen, und Ramose neben ihm holte Luft.
»Führe mich zu ihr«, sagte Ahmose mit Mühe. »Anchmahor, nimm die Getreuen und begleite Sobek-chu. Suche nach dem Thronsaal. Vermutlich befindet er sich gleich hinter dem Haupteingang. Schlage den Horusthron und die königlichen Insignien in sauberes Leinen ein und bringe alles in mein Zelt. Lass ihn gut bewachen. Ramose, du kommst mit mir.« Tani wartete auf ihn. Das konnte nur sie sein, und er wollte sie nicht vor neugierigen Ohren begrüßen. Eigentlich möchte ich sie gar nicht begrüßen, dachte er. Was soll ich nur sagen? Wie können schlichte Worte nach so langer Zeit den Abgrund überbrücken? Liebe ich sie oder verachte ich sie?
»Dann lebt sie also noch!«, flüsterte Ramose so
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