Die Strasse des Horus
begrüßte er den Leibarzt, der schon wartete, und gemeinsam flößten sie dem Kind das große Gottesgeschenk ein, das die Macht hatte, Schmerzen zu lindern und Bewusstlosigkeit zu bringen. Sat-Kamose schrie jedes Mal wegen des bitteren Geschmacks und erbrach zuweilen, doch im Lauf der Zeit wurde ihr Magen zu schwach, konnte sich nicht mehr verkrampfen und den Mohnsaft aufstoßen. Ermutigt hatte der Arzt versucht, sie wieder mit Ziegenmilch zu füttern, doch die konnte sie nicht bei sich behalten. Sie lag fast ununterbrochen in Ahmoses Arm oder dem ihrer Mutter.
Anfangs kam er von den Audienzen zurück und traf seine Frau neben ihrem Lager sitzend an, Unis Essen unberührt auf dem Tisch neben ihr und Sat-Kamose auf ihrem Schoß. Wenn der Arzt gegangen war, hockte er sich neben sie und zwang sie, einen Mund voll zu essen und dann vielleicht noch einen, aber allmählich bekam sie wieder Appetit, und meistens sah Ahmose, wenn er ihre Gemächer betrat, hocherfreut, dass die Teller, abgesehen von ein paar Krumen, leer waren. Senehat begleitete sie dann zum Badehaus, während Ahmose über dem Körbchen wachte, das für beide etwas so Kostbares und Schmerzliches barg.
Ahmose bestand darauf, dass der Arzt Aahmes-nofretari untersuchte, und seine Nachricht war ermutigend. »Sie hat etwas zugenommen, ihre Augen sind nicht mehr so gelb von Uchedu, und ihr Atem riecht nicht mehr«, berichtete er Ahmose. »Ich verschreibe ihr nichts. Alles, was sie braucht, ist gesundes Essen und Ruhe. Schläft sie gut?« Ahmose versicherte ihm, dass sie das täte. Sie hatte zunächst nur unruhig gedöst, war erregt aufgewacht, und er musste sie im Schein der einzigen Lampe, die immer brannte, mit Brettspielen und Geschichten beruhigen. Doch allmählich schlief sie länger und tiefer. Eines Nachts wachte sie nicht einmal auf, als der Arzt leise eintrat, um Sat-Kamose ihr Ro Mohnsaft einzuflößen.
Ahmose selbst war oft wach, verbrachte viele Stunden an Aahmes-nofretaris Bett und beobachtete sie mit immer neuem Entzücken. Da waren ihre harmonischen Formen, das dunkle Haar, das von ihren hohen Schläfen herunterrauschte, die bläulichen, geschlossenen Lider, die dichten schwarzen Wimpern, die schmale Adlernase ihres Vaters und der volle, blütenartige Mund ihrer Mutter. Der stetige Schein der Lampe warf freundliche Schatten auf ihren Hals, betonte die braune Vertiefung zwischen ihren Brüsten und ließ ihre Schultern schimmern, als wären sie geölt. Doch Lust verspürte er dabei nicht.
Einmal verließ er gleich nach Mitternacht, als der Arzt gegangen war und Aahmes-nofretari tief und fest schlief, den Frauenflügel und machte sich allein zum Tempel auf, nachdem er Uni auf seinem Strohsack draußen vor der Tür Bescheid gesagt hatte, falls sie aufwachte. Der Mond war zu drei viertel voll, und friedlich verschattet lag der Garten in seinem bleichen Schein. Ahmose fühlte sich nach der langen Zeit, die er ans Haus gefesselt war, benommen, blieb stehen und atmete die warme Luft ein, ehe er durch das Tor an der Bootstreppe trat. Er lehnte die Begleitung der Wachposten ab und schlug den Weg am Fluss ein, der sich unter seinen Füßen grau zu den dunklen Palmen zog.
Am mondhellen Himmel über ihm raschelten leise die Blätter, und der Nil neben ihm war ein silbergraues Band. Die Stadt Waset, fast schon eine Großstadt, lag wie verzaubert hinter Büschen und Feldern zu seiner Linken, ihre Lehmhäuser waren dunkel, ihre Straßen leer, abgesehen von ein paar streunenden Hunden und einem gelegentlichen Licht, wo ein Bewohner genauso schlaflos war wie sein König. Weit draußen in der Wüste schlug eine Hyäne scharf an, das Geräusch hallte von den unsichtbaren Dünen wider und erstarb. Ich liebe diesen Ort, dachte Ahmose, während er ausschritt. Alles, was ich bin, ist durch diesen langsam wachsenden Eindruck auf meine Sinne geformt worden. Ich bin König von Ägypten, aber zuallererst bin ich ein Kind Wasets, und das werde ich immer bleiben.
Der Vorhof des Tempels lag verlassen. Ahmose überquerte ihn rasch. Der Innenhof mit seiner Decke aus mächtigen Felsplatten war vollkommen dunkel. Ein Wachposten tauchte aus den Schatten auf und rief ihn an, doch als er sah, wer es war, entfernte er sich mit einer raschen Entschuldigung. Ahmose zog die Sandalen aus und näherte sich dem Heiligtum. Das war natürlich geschlossen, doch es war ihm einerlei.
Ahmose fiel auf die Knie, dann warf er sich bäuchlings hin, streckte die Arme aus und drückte das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher