Die Strasse des Horus
Ihr Leib war noch ein wenig warm, doch es war die Wärme von leblosen Dingen, die man in der Sonne vergessen hatte, von einem Kissen, einer Decke, nicht ihre eigene Wärme, nicht die des spärlichen Lebensfunkens, der noch in ihr geglimmt hatte. Er biss sich heftig auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken, die hinter seinen Lidern stachen, dann trug er sie ins Schlafgemach.
Aahmes-nofretari schrie leise auf, als sie sein Gesicht sah, und streckte die Arme aus. Ehrerbietig legte Ahmose den rührenden Leichnam hinein und setzte sich neben sie, ergriff eine von Sat-Kamoses Händen und legte seiner Frau die andere um die Schulter. Sie sagten kein Wort, sondern schmiegten sich aneinander, weinten beide, während es immer mehr Nacht wurde und der Leib ihres Kindes in der Umarmung der Trauernden allmählich erkaltete.
Ahmose trug Sat-Kamose höchstpersönlich ins Haus des Todes. Er wickelte die Kleine in sauberes Leinen, befahl Uni, seine Sänfte zu holen, und ging leise durch die stillen Flure seines Hauses. Als er neben dem Gartenweg stand, merkte er, dass der Mond verblasste und ein Wind aufgekommen war, der die Wipfel der dunklen Palmen schüttelte, dass etwas Unsichtbares, ein Insekt oder ein Frosch, im Gras zu seinen Füßen raschelte. Die Welt hat sich nicht verändert, dachte er. Kein Stern fällt vom Himmel, weil du gestorben bist, meine Kleine. Die Bäume halten nicht still und flüstern deinen Namen. Der Fluss bespritzt uns nicht mit Tränen, während wir warten und ich deine leere Hülle im Arm halte. Wir dürfen den Lauf der Sterne berechnen, uns Bäume und Fluss zunutze machen, wir dürfen die Erde beackern und die Tiere zähmen, aber all diese Dinge verspüren kein Mitgefühl für menschliches Leid.
Die Sänfte kam, getragen von vier verschlafenen Dienern. Ahmose sagte ihnen, wohin er wollte, stieg ein und zog die Vorhänge zu. Das Haus des Todes grenzte an Amuns Tempel, die Entfernung war nur kurz. In der Abgeschiedenheit der Sänfte deckte er das Gesicht seiner Tochter auf und küsste ihren schlaffen Mund, doch wie gern hätte er ihre Seele umarmt, das, was sie vielleicht geworden wäre, und schließlich wickelte er sie enttäuscht wieder ein.
Die Sänftenträger setzten ihn in einiger Entfernung vom schwer bewachten Eingang zum Haus des Todes ab. Er verstand ihr Zögern, nicht weiterzugehen, und billigte es. Sat-Kamose fest an sich gedrückt schritt er zu den Wachposten des Tempels und bat um einen Sem-Priester, stand ruhig da, während einer in dem dunklen Gebäude verschwand. Der andere versperrte ihm mit dem Speer den Weg. Abgestandene Luft kam herausgeweht, roch nach Dingen, die er nicht ausmachen konnte, die ihm jedoch einen kalten Schauder über den Rücken jagten.
Eine Bewegung in den Schatten, dann tauchte ein Mann auf. Er trat nicht über die steinerne Schwelle, sondern verbeugte sich. »Was willst du von uns, Majestät?«, fragte er. Ahmose streckte ihm das kleine Bündel hin.
»Ich bringe dir meine Tochter, die Prinzessin Sat-Kamose, zur Einbalsamierung«, sagte er, und seine Stimme zitterte.
»Wie traurig, dass sie gestorben ist«, antwortete der Mann. »Lege sie dort auf die Erde und tritt zurück.« Es war Zeit, loszulassen, doch Ahmose konnte sie nicht hergeben. Aufstöhnend drückte er sie an seinen Hals, dass ihr Kinn auf den Tüchern ruhte, schloss die Augen und spürte, wie ihm die Tränen heiß über die Wangen liefen. Auf einmal fiel ihm der Tag ein, an dem sie Hent-ta-Hent begraben hatten, wie wenig er da empfunden hatte, wie selbstsüchtig er allen echten Kummer um das Kind und das Mitleid mit seiner Mutter von sich geschoben hatte. Und da brach ein Damm, eine verspätete Überschwemmung, Liebe und Traurigkeit, ein Ausbruch, der anders war als sein augenblickliches Leid, vielleicht durch die lange Zeit gemildert, und füllte leere Höhlen, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab. Er bekam kaum noch Luft, so sehr übermannte es ihn. Der Sem-Priester wartete ungerührt. Endlich tat Ahmose, was man ihn geheißen hatte, legte Sat-Kamose sacht nieder und zog sich zurück. Sofort kam der Priester näher, hob sie auf und ging rasch wieder an seinen Platz hinter dem Eingang. »Mein Gewand hat dich zwar nicht berührt, aber mein Atem oder die Ausdünstungen meines Körpers könnten dich unrein gemacht haben«, sagte er. »Geh zum heiligen See und reinige dich.«
Ahmose ließ sich zu Amuns See tragen. An dessen beschaulichem Rand legte er Schurz und
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