Die Strasse des Horus
sich diese Tragödie ihrem unausweichlichen Ende nähert.
Als der Arzt eingelassen wurde und sich verbeugte, hatte sich Ahmose wieder gefangen. Der Mann sah beinahe genauso müde aus wie Aahmes-nofretari. Er wartete geduldig.
»Es gibt für meine kleine Tochter keine Hoffnung, nicht wahr, Arzt?«, sagte Ahmose ohne Umschweife. Der Arzt befeuchtete sich die Lippen.
»Keine, Majestät«, sagte er ehrlich. »Es tut mir Leid. Die Prinzessin kann weder die Milch ihrer Mutter noch die der Amme noch die Ziegenmilch bei sich behalten, die ich ihr verordnen musste. Ich schäme mich einzugestehen, dass ich mir darauf keinen Rat weiß.« Ahmose dachte einen Augenblick nach.
»Die Königin sagt mir, dass du der Kleinen Mohnsaft geben willst, sie das aber ablehnt.« Der Arzt hob die Schultern unter seiner gelben Tunika, eine Geste der Ergebung.
»Die Prinzessin stirbt den langsamen und qualvollen Tod des Verhungerns«, sagte er. »Mohnsaft würde ihr Leben nicht verlängern, aber die Schmerzen lindern und ihr Bewusstlosigkeit schenken.« Seine Worte kamen zögernd, und Ahmose stürzte sich darauf.
»Warum, glaubst du, verweigert die Königin diese Hilfe für ein Kind, dessen Qualen ihr das eigene Leben aussaugen?« Der Mann blickte zu Boden.
»Das weiß ich nicht, Majestät.« Ahmose trat einen Schritt näher.
»O doch, du weißt es!«, fuhr er ihn an. »Du bist mein Leibarzt, bist klug und erfahren in deinem Beruf. Antworte mir!« Widerstrebend hob der Arzt den Kopf.
»Ich bin zu keinem endgültigen Schluss gekommen«, bekannte er, »aber mir will scheinen, dass sich Ihre Majestät für etwas bestraft, was ich nicht verstehe, und darum der Prinzessin den Mohnsaft verweigert. Sie möchte das Leiden der Kleinen bis zur bitteren Neige auskosten, als Buße sozusagen. Vielleicht weißt du mehr darüber als ich, Majestät.« Ahmose starrte ihn mit gerunzelter Stirn an. Eine Buße, überlegte er. Ja, natürlich. Meine arme Aahmes-nofretari. Du gibst dir die Schuld an deinen toten und sterbenden Kindern, nicht wahr? Du hast entsetzliche Angst, dass ich dich wegen etwas verstoße, was du als dein Scheitern verstehst, und du geißelst dich gnadenlos wegen deiner Schuldgefühle.
»Vielleicht habe ich das«, sagte er nachdenklich. »Bereite den Mohnsaft zu und komme am Spätnachmittag in die Gemächer der Königin. Warte dort auf mich. Du bist entlassen.« Es kommt mir vor, als wäre ich mindestens schon eine Woche zu Hause, überlegte er, als er zu den Gemächern seiner Mutter ging, dabei sind es erst ein paar Stunden. Aber ich glaube nicht, dass ich so freudig wieder aufbreche wie letztes Mal und mich auch nicht langweilen werde. Sat-Kamose hat mein Herz erobert, und ihretwegen finde ich in meinem Reich Erfüllung. Lange wird sie nicht bei mir bleiben. Ich habe mich in ihren Verlust gefügt, obwohl ich gerade erst entdeckt habe, welche Freude es macht, sie zu lieben. Ich umarme das Bittere und das Süße, denn ich ahne, dass sie mir Bereiche meines Wesens zeigen wird, für die ich völlig blind gewesen bin. Wie mich wohl Hent-ta-Hent verändert hätte, wenn ich an ihrem Sterbelager gesessen hätte?
Ihm kam der ungeformte Gedanke, dass seine kürzlichen schmerzhaften Zusammenstöße mit Tani etwas mit der unmittelbaren Erkenntnis zu tun haben könnten, dass seine Tochter etwas Kostbares war, dass Tanis standhafte, unerklärliche Weigerung ihn dafür hellhörig gemacht hatte, dass das Leben unvorhersehbar war. Das hatten seine ganzen militärischen Abenteuer nicht geschafft.
Als er Aahoteps Gemächer betrat, fuhr er zurück, denn dort saß auch Tetischeri neben Aahoteps Lager, hatte die Füße auf einen Schemel und die knotigen Hände in den Schoß gelegt. Er meinte, seine Überraschung, die fast an Schreck grenzte, gut verborgen zu haben, doch sie knurrte. »Du hast nicht erwartet, mich hier zu finden, Majestät«, sagte sie. »Aber es ist lange her, dass wir uns gesehen haben, und als ich gehört habe, dass du Aahotep sehen wolltest, bin ich eilig hergekommen.« Ihr Ton enthielt einen milden Tadel.
»Du siehst gut aus, Großmutter«, murmelte er und bemühte sich, ihrem durchdringenden, wissenden Blick standzuhalten, der noch immer so klug funkelte, obwohl sie mittlerweile auf die siebzig zuging.
»Der Rücken tut mir weh, und ich schlafe nicht gut«, gab sie zurück. »Abgesehen davon bin ich gesund. Es tut mir Leid, dass dich die Umstände zur Heimkehr gezwungen haben, Ahmose. Für Sat-Kamose kannst du wirklich nichts tun,
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