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Die Strasse des Horus

Die Strasse des Horus

Titel: Die Strasse des Horus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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auf den Boden. Mit geschlossenen Augen betete er für Sat-Kamose, für Aahmes-nofretari, für sich selbst, und die Worte gingen ihm leicht von den Lippen, denn er dachte so klar wie seit langem nicht mehr. Nach einem Weilchen spürte er hinter sich eine Bewegung, doch er blickte nicht auf. Jemand legte sich neben ihn und begann auch zu beten, und froh erkannte er Amunmoses Stimme. Als alles gesagt war, was er dem Gott sagen wollte, stand er auf, und der Hohe Priester tat es ihm nach. »Ich habe gehört, dass du zurückgekommen bist, Majestät«, sagte er, und in dem kleinen, engen Raum hörte sich seine Stimme ausdruckslos an. »Deine Mutter schickt Yuf regelmäßig mit Berichten zu mir über alles, was im Haus vorgeht. Die Königin hat mich gebeten, einen Stellvertreter für den Zweiten Propheten zu ernennen, bis sich die kleine Prinzessin erholt hat oder gestorben ist, und das habe ich getan. Wie ich höre, ist auch die Königin nicht ganz gesund.« Welch strenges Pflichtgefühl Aahmes-nofretari doch hat, dachte Ahmose. Ägypten könnte in einem Flammenmeer versinken, und sie würde sich noch immer Sorgen machen, dass sie ihren Pflichten nicht nachkommt.
    »Ich habe deinen Takt stets geschätzt, Amunmose«, antwortete Ahmose. »Die schwere Last hat sie niedergedrückt, aber sie erholt sich. Ich freue mich, dich wieder zu sehen. Augenblicklich komme ich meinen Pflichten Amun gegenüber nur im Herzen nach, aber dafür entschuldige ich mich nicht.« Amunmoses Gesicht war nur ein verschwommenes Oval in der Dunkelheit. Trotzdem deutete Ahmose seine Miene richtig.
    »Warum auch«, sagte der Hohe Priester. »Ich habe dir keinen Trost zu bieten, Majestät, es sei denn eine Weissagung aus der Seherschale. Scharuhen wird fallen, und Apophis gehört dir.«
    »Das ist kein Trost in meiner augenblicklichen Not«, sagte Ahmose bedrückt, »aber ich zweifle nicht an der Gabe des Sehers. Schließlich hat er die jetzige Tragödie auch vorhergesagt.«
    »Er ist lediglich ein Werkzeug des Gottes«, sagte Amunmose schlicht. »Übermittle dem Zweiten Propheten bitte meine Grüße.«
    »Ja, gern. Und sei bedankt, dass du mir heute Nacht Gesellschaft geleistet hast.« Der Vorhof war ein graues Rechteck. Ahmose betrat ihn, holte sich seine Sandalen und machte sich auf den Heimweg.
    Sat-Kamose starb in der Nacht des dreißigsten Pharmuthi. Der königliche Leibarzt hatte wie gewohnt gleich nach Mitternacht seinen Besuch gemacht. Aahmes-nofretari hatte kurz geschlafen, war dann aber aufgewacht und aufgestanden und hatte sich auf Ahmoses Bettkante gesetzt, denn der wollte sich gerade schlafen legen. »Ein Traum hat mich aufgeschreckt«, sagte sie zu ihrer Entschuldigung, »ich weiß aber nicht mehr, worum es ging. Ich finde keine Ruhe, Ahmose. Ich muss meine Tochter im Arm halten.« Ahmose wusste, es war einerlei, denn die Kleine war die meiste Zeit über halb bewusstlos und wimmerte nicht einmal mehr, wenn man sie hochhob. Er warf das Laken ab und stand auf.
    »Ich bringe sie dir«, sagte er. »Steck dir meine Kissen in den Rücken. Hättest du gern einen Schluck Wasser?« Sie nickte. Ehe er leise ins Kinderzimmer ging, goss er ihr einen Becher ein, reichte ihn ihr und wartete, dass sie ihn auf den Tisch zurückstellte, nachdem sie ihn durstig geleert hatte.
    »Du bist so schrecklich nett zu mir gewesen«, platzte sie heraus. »Netter, als ich es verdiene. Ich liebe dich so sehr, Ahmose. Bitte verzeih mir alles.«
    »Alles?« Er lächelte, denn er merkte, dass die Auswirkungen des Traumes, was auch immer es gewesen war, sie noch immer verstörten. Trotzdem wirkte sie nicht mehr so hager im Gesicht, und ihre Haut hatte wieder einen gesunden Schimmer. »Ich habe keine Ahnung, was das sein kann. Wenn du fertig bist, hole ich Sat-Kamose.«
    Er ging durch das matt erleuchtete Kinderzimmer und beugte sich über das Körbchen, stutzte jedoch. Er hatte in den vergangenen Jahren den Tod viele Male gesehen, sogar auf den Gesichtern sonst nicht entstellter Soldaten. Sein Zeichen war unverkennbar. Nein, eher das Fehlen seines Zeichens, dachte er entsetzlich traurig. Wie still auch immer das Gesicht, wie scheinbar täuschend das Bild, ein Blick genügt, und man weiß, dass das Ka geflohen ist und nichts als eine leere Hülle zurückgelassen hat.
    Die halb geschlossenen Augen der Kleinen schimmerten, aber nur vom geborgten Leben der Lampe. Ihr Mund stand ein wenig offen, die winzige Brust war völlig reglos. Ahmose hob sie hoch und drückte sie an sich.

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