Die Strasse des Horus
braunen Spritzer auf ihrem befleckten Leinen waren Warnung und Zeugnis zugleich. »Heute nehme ich nur die Nemes als Symbol an, dass ich und mein Volk eins sind«, fuhr Ahmose fort. »Und ich ziehe neue Sandalen an, damit ich den neuen Weg, den mir der Gott bestimmt hat, gehen kann. Aber täuscht euch nicht. Nicht die Doppelkrone beinhaltet Macht, sondern der Mensch, den Gott dazu ausersehen hat, dass er sie trägt. Lasst uns fortfahren. Bringt Schemel für meine Mutter und Großmutter.«
Er winkte. Aahmes-nofretari sah mit Besorgnis, dass Aahotep beim Gehen das Humpeln zu verbergen versuchte. Unter Aahoteps zersplittertem Fußnagel sickerte Blut hervor, und Aahmes-nofretari wurde wie schon oft von abergläubischer Furcht gepackt. Ein schlechtes Vorzeichen für Ahmoses Herrschaft, dachte sie. Das darf niemand sehen. Was soll ich nur tun?
Doch derselbe junge Priester, der Aahotep vorhin zu Hilfe gekommen war, hatte sie auch im Blick behalten. Beherzt trat er zu ihr, fiel anmutig vor ihr auf die Knie, und während er ihr die Füße zu küssen schien, schaffte er es, die Blutstropfen mit dem Saum seines Gewandes abzuwischen. Aahotep starrte bewusst geradeaus, kümmerte sich nicht darum, und als er sich entfernte, sah Aahmes-nofretari, dass sie die Füße unter ihr bauschiges Kleid zog.
Ahmose saß jetzt. Der erste Kasten wurde geöffnet, und Amunmose holte ein Paar prächtige Sandalen heraus, geziert mit Blattgold und viel Lapislazuli und Jaspis, und die wurden Ahmose ehrerbietig übergestreift. Dann schwenkte der Hohe Priester das Weihrauchfass über Ahmose und griff zum zweiten Kasten.
Er nahm ein Pektoral heraus, und erschrocken erkannte Aahmes-nofretari den Schmuck, den Kamose für sich in Auftrag gegeben hatte, doch die Königskartusche war verändert worden. Sie enthielt nicht mehr Kamoses Namen, stattdessen umfingen Nechbet und Wadjet nun Ahmoses Namen. Aahmes-nofretari stieg ein Kloß in die Kehle, als das wunderschöne Andenken an Kamoses Hoffnungen ihrem Mann umgelegt wurde. Das bedeutet für ihn nicht Triumph über Kamose, sagte sie sich bekümmert. Für ihn ist es ein Bindeglied zu seinem Bruder, ein Versprechen, dass er alles, was Kamose angefangen hat, zu Ende führen will. Aber für mich bedeutet es nur Herzeleid.
Der letzte Kasten enthielt einen Nemes-Kopfputz, erlesen in Streifen aus Dunkelblau und Gold gefertigt und mit einem Band aus lauterem Gold eingefasst, auf dem sich schlichte Abbilder der Uräus, der Geiergöttin der Furcht und Schutzgöttin des Südens, und der Kobragöttin der Flamme, Schutzgöttin des Nordens, funkelnd aufbäumten. Unter feierlichen Worten nahm Amunmose Ahmose das Leinenkopftuch ab, ersetzte es durch die Nemes und ordnete die Zipfel auf seinen Schultern. Es war das letzte Mal, dass man den heiligen Kopf des Königs in der Öffentlichkeit unbedeckt sehen würde.
Jetzt stand Ahmose auf und hob die Arme. Beifall brauste auf, einmütig warf sich alles nieder und drückte die Stirn auf den Steinboden. Auf Ahmoses Wink hin trat Herold Chabechnet vor. »Hört die Wünsche des Königs!«, rief er, und da erstarb der Beifallssturm. »Als Erstes möchte Seine Majestät kundtun, dass er, bis Ägypten gesäubert ist, von den fünf Titeln, die ihm zustehen, nur die drei annehmen wird, die zu seiner Gottheit gehören. So ist er fürs Erste Uatsch-Cheperu Ahmose, Sohn der Sonne, Horus, Goldhorus. Der König hat gesprochen.« Er schwieg. »Zweitens möchte Seine Majestät jetzt seiner geliebten Aahmes-nofretari, Tochter des Mondes, eine Königinnenkrone aufsetzen, damit Ägypten ihr als Gemahlin des Gottes huldigen und sie als die Schönste im Land preisen kann. Der König hat gesprochen.«
Er zog sich zurück, und Ahmose stand auf. Er hob einen vierten Kasten auf, der neben seinem Stuhl gestanden und den Aahmes-nofretari gar nicht bemerkt hatte, öffnete ihn und holte ein Golddiadem mit dem Abbild der Göttin Mut heraus. Ungemein behutsam, zärtlich und stolz setzte Ahmose es auf Aahmes-nofretaris Perücke. »Die Beute aus den Schatzschiffen dürfte mittlerweile beklagenswert gering geworden sein, Majestät«, murmelte sie, als er ihr das Gesicht näherte, und da lächelte er bedächtig.
»Schlimm, schlimm«, murmelte er. »Aber warte, bis ich fertig bin. Ich bete dich an, meine unwiderstehliche Kriegerin.« Erneut brauste Beifall auf.
Ahmose nahm nicht wieder Platz, sondern hob die beringte Hand. »Ich habe jetzt eine feierliche und sehr wichtige Pflicht zu erfüllen«, sagte er
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