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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Mann, der mir den Weg vertrat, überhaupt nicht bemerkte. Immerhin sah ich seinen Schatten gerade noch rechtzeitig, sonst wäre ich mit ihm zusammengeprallt. Ich blickte auf, eine bissige Bemerkung auf den Lippen, doch als ich sah, wer da vor mir stand, trat ich erschrocken einen Schritt zurück und wäre beinahe gestolpert.
    Er fing mich auf und stützte mich, dann blieb er vor mir stehen und betrachtete mich. Mich beschlich das unbehagliche Gefühl, abgeschätzt zu werden. Um meine Verlegenheit zu verbergen, gab ich den Blick unverwandt zurück. Er war älter, als ich an jenem Abend im Konzert angenommen hatte, ungefähr Mitte vierzig, obwohl die abgeklärte Weisheit in seinen Zügen die eines viel älteren Mannes war. In seinem Haar schimmerten ein paar silberne Fäden, Gram und Sorgen hatten Fältchen in seine Stirn und die Haut rund um seine Augen gegraben.

    Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war, dass ich träumen musste; dass er unmöglich so unverhofft in der abgeschiedenen Welt aufgetaucht sein konnte, die ich mir hier geschaffen hatte - so weit entfernt von dem Ort unserer ersten Begegnung oder vielmehr dem Ort unserer verhinderten ersten Begegnung. Ich hatte zu vielen Träumen von ihm nachgehangen, um glauben zu können, dass dieser wahr war. Doch hier stand er vor mir und wartete ganz offensichtlich darauf, dass ich etwas sagte.
    Endlich fragte ich ihn lahm: »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
    Er musterte mich erneut lange, dann entgegnete er: »Vielleicht ja. Sie sind Miss Rose?« Er sprach fließend Englisch, jedoch mit unverkennbar russischem Akzent.
    Mehr als nur leicht verwirrt und allmählich über seine Reserviertheit verärgert gab ich zurück: »Das ist richtig. Und Sie müssen der Gast sein, den Mary zum Essen erwartet.«
    »Ich bin eigentlich gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.«
    »Sie sind der Mann, der das Haus mieten will!«, entfuhr es mir. Der Schock über diesen unglaublichen Zufall hatte mich meine Manieren vergessen lassen.
    »Der bin ich«, erwiderte er mit einem leisen Lächeln.
    »Es tut mir leid.« Auf einmal kam ich mir vor wie ein ungestümes kleines Kind. »Ich hatte nicht mit Ihnen gerechnet. Ich habe im Garten gearbeitet … ich wollte gerade gehen, um mich umzuziehen, als … nun ja…«
    Die gestammelte Erklärung erstarb angesichts seiner trockenen Belustigung. Er betrachtete mich - viele Minuten lang, wie es mir schien -, während ich versuchte, nicht vor Nervosität mit den Füßen zu scharren.
    Endlich sagte er: »Ich finde Ihren Aufzug sehr kleidsam. Sie sehen ein bisschen aus wie eine Frau auf einem Gemälde
- Renoir, denke ich. Wenn Renoirs Modelle Hosen getragen hätten.«
    Ich musste unwillkürlich lächeln, und er erwiderte mein Lächeln zögernd, woraufhin ein Teil meiner Schüchternheit verflog. Er hatte das Gesicht eines Schauspielers; beweglich genug, um jedweder Emotion Ausdruck zu verleihen. Ein solches Gesicht konnte Vertrauen erwecken, wenn dies nicht gerechtfertigt war.
    »Mir kommt es so vor, als hätte ich Sie schon irgendwo einmal gesehen«, bemerkte er. Sein Lächeln verblasste, der ernste Ausdruck kehrte auf sein Gesicht zurück.
    »Das haben Sie auch. Ich weiß jedenfalls, dass ich Sie gesehen habe. Und gehört. Letzten Dezember in der Symphony Hall in Boston. Sie spielten Chopin. Es war das beeindruckendste Klavierkonzert, das ich je gehört habe.«
    »Sie waren in der Hall.« Es war keine Frage, aber in seiner Stimme schwang ein abwägender Unterton mit, der den Schluss nahelegte, dass er längst nicht alles aussprach, was er dachte. Statt weiter auf das Konzert einzugehen, sagte er: »Ich hörte, dass Sie selbst über eine nicht unbeträchtliche Begabung verfügen.«
    »So gut wie Sie werde ich mit Sicherheit nie spielen.«
    »Sagen Sie so etwas nie, Miss Rose«, gab er zurück. »Solche Gedanken sind Gift für einen Künstler. Stellen Sie Vergleiche an, fragen Sie sich immer, was Sie an Ihrem Spiel noch verbessern können, aber zweifeln Sie niemals an Ihrer Begabung!«
    Die Leidenschaft dieses Ausbruchs setzte mich in Erstaunen, aber ich sah ihm an, dass er jedes Wort ernst meinte. Ich hielt ihm eine Hand hin. »Bitte nennen Sie mich Eleanor.«
    Er ergriff meine Hand und drückte sie leicht, schüttelte sie aber nicht. »Ich bin Alexander Trewoschow. Nennen Sie mich Alexander.« Er hielt inne, dann sagte er plötzlich:
»Sie haben dieses Haus dort drüben beobachtet.« Er deutete in Richtung des Hauses auf dem Hügel, dessen

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