Die Straße nach Eden - The Other Eden
höchste Dachgiebel von dort, wo wir standen, gerade noch zu sehen waren.
»Woher wissen Sie das?« Ich war zu durcheinander, um mich zu fragen, wieso dieser Umstand für ihn von Interesse sein könnte.
»Mrs Bishop hat gesagt, dass ich Sie hier finden würde. Als ich oben im Garten stand, sah ich, dass irgendetwas Ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie blickten immer wieder in dieselbe Richtung. Ich wollte wissen, wovon Sie so fasziniert waren.«
»Und was dachten Sie, nachdem Sie es herausgefunden hatten?«
Sein Blick wanderte über den Hügel hinweg. Als er sich wieder zu mir umdrehte, lag ein Ausdruck von Besorgnis in seinen Augen, der vorher nicht da war. »Ich wusste nicht, was ich denken sollte«, bekannte er nach kurzem Zögern. Es war klar, dass ihm nicht gefiel, was er mir gleich sagen würde. Dann seufzte er.
»Wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht, um Ihr Gesicht nicht zu sehen. Ich hatte Angst, dass das, was Sie so unwiderstehlich anzog, auch mich in seinen Bann schlagen könnte. Ich weiß zwar kaum etwas über diesen Ort, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er Unheil ausstrahlt. Oder irre ich mich da?«
Ich zuckte die Achseln und hoffte, er würde mir meine eigenen geheimen Ängste nicht anmerken. »In jedem alten Haus liegen ein paar Leichen im Keller.« Ich zwang mich, seinem Blick unverwandt standzuhalten.
»Wäre ich besser umgekehrt und wieder zurückgegangen?«, fragte er mit weicher Stimme.
»Wenn Sie ein so starkes Unbehagen verspürt haben, wäre das wohl ratsam.«
»Soll ich jetzt gehen?«
Er sprach so leise, dass seine Worte fast im Rauschen der Bäume untergingen, und der wehmütige Unterton, der sich in seine Stimme geschlichen hatte, berührte mich seltsam. Ich wusste nicht, ob ich mich über seine Direktheit ärgern oder ihn als ein wenig verrückt abtun und ihn stehen lassen sollte. Ich hätte gerne beides getan, brachte aber weder das eine noch das andere fertig, denn mir war nur allzu stark bewusst, dass auch ich gut daran getan hätte, Eden’s Meadow den Rücken zu kehren, als ich noch Gelegenheit dazu gehabt hatte.
In diesem Moment erklang von den Bäumen auf der Kuppe des Hügelziergartens her eine glockenklare Stimme und ersparte mir eine Antwort. »Djadja!«
Wir fuhren beide herum. Ein kleines Mädchen von sechs oder sieben Jahren stand in der Tür des Gartenhauses oben auf dem Hügel. Wir sahen zu, wie sie die Stufen hinunterhüpfte und dann den Pfad entlang auf uns zurannte. Bis hin zu dem Seidenband an dem Hut in ihrer Hand war sie ganz in Weiß gekleidet. Mit großen, anbetenden Augen blickte sie zu Alexander auf. Sein eigenes Gesicht hatte sich bei ihrem Anblick völlig verändert, jetzt lag ein Ausdruck liebevoller Nachsicht darauf.
»Djadja«, wiederholte das Mädchen. Der Tadel in ihrer Stimme wurde durch ihre Atemlosigkeit und ihre offenkundige Zuneigung zu ihm gemildert. »Mrs Mary und ich haben dich überall gesucht. Es ist Zeit zum Mittagessen.« Ihr Akzent war weniger ausgeprägt als Alexanders. Er nahm sie auf den Arm und zwinkerte ihr zu. »Wer sagt das?«, fragte er.
Sie lachte hell auf. »Ich sage das!«, krähte sie. »Und Mrs Mary«, fügte sie rasch hinzu. Ich hob den Kopf, und ›Mrs Mary‹ winkte uns vom Gartenhaus, wo sie und Colette den Tisch deckten, her zu. Ich übersah ihr Winken geflissentlich
und hoffte, sie würde es merken. Ich wusste, dass ich Alexander nicht zufällig hier getroffen hatte.
Das kleine Mädchen musterte mich. Ihre Augen waren blau und zutraulich. »Wer bist du denn?«, wollte sie wissen.
»Tascha«, mischte sich Alexander ein, »das ist Eleanor Rose. Eleanor, dies ist meine Nichte Natalja. Tascha.«
»Hallo, Tascha.« Ich lächelte sie an. Nach kurzer Überlegung erwiderte sie das Lächeln.
»Wie hat sie Sie genannt?«, wandte ich mich an Alexander. »Es klang wie ›Dada‹.«
Alexanders Lippen krümmten sich leicht. »Das tut es wohl. Aber Djadja ist das russische Wort für Onkel.«
Zwischen Tascha und ihrem Onkel bestand keinerlei Ähnlichkeit. Sie hatte sanfte Züge, rötlich braunes Haar und war unbestreitbar bildhübsch, aber ihr Gesicht fesselte den Betrachter nicht so wie das von Alexander, zudem zeigte es den erschöpften, verhärmten Ausdruck eines Kindes, das vor Kurzem noch schwer krank gewesen war.
»Lebst du in dem Schloss?«, fragte sie, dabei zeigte sie auf die Ecke des Hauses, das wir von unserer Warte aus sehen konnten.
»Es ist kein richtiges
Weitere Kostenlose Bücher