Die Straße nach Eden - The Other Eden
zu können, nur um gleich darauf von der anderen Seite geblendet zu werden. Als ich mich langsam erhob, erzitterte der wackelige Steg unter mir, und das Wasser schlug kleine Wellen. Ich legte eine Hand vor die Augen und starrte zum Westufer des Sees hinüber, wo sich das Sonnenlicht in den Fenstern eines Hauses auf dem Hügel fing und sie wie Juwelen glitzern ließ. Ich konnte nicht begreifen, wie ich viereinhalb Monate auf der Plantage hatte leben können, ohne das Haus zu bemerken, doch im nächsten Moment wurde diese Frage beantwortet. Während ich das Haus betrachtete, schob sich eine Wolke vor die Sonne, und der schimmernde Glanz der Fenster erlosch. Fiel das Licht nicht in genau dem richtigen Winkel auf das Haus, dann verschmolz es mit dem Wald ringsum. Ich erschauerte, während ich zusah, wie das Feuer in den Fenstern des Hauses auf dem Hügel wieder aufflackerte und dann erstarb, als die Sonne wieder zum Vorschein kam, höher stieg und ihr Schein blasser wurde.
Vogelgezwitscher und das Summen von Insekten zerrissen die stille Luft. Ich setzte mich wieder, schlug das Tagebuch auf und begann mit einer detaillierten Beschreibung des geheimnisvollen Hauses. Ich schrieb, bis die Sonne zu heiß wurde, dann klappte ich das Buch zu und trat den Rückweg zu meinem eigenen Haus an. Meine Entdeckung erfüllte mich mit nagender Besorgnis. Ich stieg den Hügelgarten empor, zu dessen Mitte sich eine bröckelnde Steintreppe hochwand. Colette hatte das Frühstück bestimmt
schon aufgetischt, und ich wusste, dass Mary sich Sorgen machen würde, wenn sie mich nicht im Esszimmer vorfand. Sie machte sich so viele Sorgen um mich, dass ich manchmal bedauerte, sie aufgefordert zu haben, mit mir nach Louisiana zu kommen. Andererseits haftete ihrer Gegenwart immer etwas Solides, Handfestes an, sie war ein Anker in der seltsam unirdischen Landschaft Edens.
Als ich die schattige Küche betrat, schüttelte ich den Kopf, um wieder klar denken zu können. Dann legte ich das Tagebuch auf die Theke und lächelte der Köchin Co lette zu. Sie war eine Kreolin mittleren Alters mit kohlschwarzen Augen, zimtfarbener Haut und Apfelbäckchen, die ein nie ersterbendes Lächeln umrahmten.
»Das Frühstück steht im Esszimmer bereit, Mademoiselle«, teilte sie mir mit. »Und trinken Sie Ihren Orangensaft heute bitte ganz aus.« Ich hatte immer den Eindruck, sie und ihre Kollegen hielten Mary und mich für kränkelnd und meinten, uns aufpäppeln zu müssen.
»Danke, Colette. Ist Mary schon auf?«
»Das weiß ich nicht. Gehört habe ich von ihr noch nichts. Aber es ist ja noch früh.«
Aber Mary saß schon am Esszimmertisch, als ich den Raum betrat. Sie trug ihren blasslila Seidenkimono, und das Haar fiel ihr in einem langen silberblonden Zopf über den Rücken. Sie lächelte mich über den Rand ihrer Kaffeetasse hinweg an, und mit einem Mal war ich zutiefst dankbar dafür, dass sie bei mir war.
»Du bist heute aber schon früh unterwegs«, stellte sie fest.
Ich setzte mich an den Tisch und begann in meinem Frühstück herumzustochern.
»Du hast wieder nicht geschlafen, nicht wahr?«
Ich seufzte, weil ich dieser Frage allmählich überdrüssig wurde. »Doch, ein bisschen.«
Sie hob milde tadelnd die Brauen, wechselte aber das Thema. »Ich bin mit der Durchsicht der Geschäftsunterlagen fast fertig.«
»Oh.« Mein Interesse war augenblicklich geweckt. Nach dem Tod meines Großvaters wollte ich einen Anwalt damit beauftragen, sich um die finanziellen Angelegenheiten zu kümmern, aber Mary, die ihrem Mann diese Dinge stets abgenommen hatte, hatte darauf bestanden, sich zuerst selbst einen Überblick zu verschaffen - keine leichte Aufgabe, denn die Buchführung meines Großvaters war mindestens ebenso wirr, wie es seine Gedankengänge gewesen waren - doch sie hatte sich ihr mehr als gewachsen gezeigt.
»Es wird dich freuen zu hören, dass er dir keine Schulden hinterlassen hat.«
Wieder seufzte ich. »Aber vermutlich auch sonst nicht viel.«
»Ungefähr sechs Millionen Dollar. Ein Teil davon ist natürlich in Pfandbriefen und Schuldverschreibungen angelegt.«
»Sechs Millionen?«, wiederholte ich ungläubig.
»Es ist nicht so viel, wie du vielleicht erwartet hast…«
»Mary, ich hatte mit Schulden gerechnet!«
Sie lachte. »Ich kann mir gut vorstellen, warum, aber mach dir deswegen keine Gedanken. William hat regelmäßig Geld für dich angelegt und genau Buch darüber geführt, auch wenn seine eigene Buchführung chaotisch war. Und
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