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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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und Miss Rose gute Nacht.«
    Das kleine Mädchen bedankte sich artig bei uns, dann streckte sie die Arme aus. Als Alexander sie hochhob, fragte sie: »Dürfen wir denn einmal wiederkommen?«
    »Ihr seid jederzeit herzlich willkommen«, versicherte ich ihr. »Alle beide.«
    »Noch einmal vielen Dank für das Essen. Sie waren sehr freundlich zu uns.«
    »Wir sind dankbar, dass Sie uns Gesellschaft geleistet haben«, beharrte Mary.
    »Für einen endlosen Austausch von Höflichkeitsfloskeln ist es viel zu spät«, unterbrach ich sie. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Tür.«
    »Begleite sie lieber bis zu dem Pfad«, riet Mary. »Wir wollen doch nicht, dass sie sich gleich an ihrem ersten Abend hier im Wald verirren.«
    Ich führte Alexander durch die Küche ins Freie und dann zu der Kuppe des Hügelgartens hinauf. Als wir die Stufen erreichten, war Tascha an Alexanders Schulter eingeschlafen.
    »Finden Sie sich von hier aus zurecht?«, fragte ich.
    »Natürlich«, erwiderte er. »Es ist nicht mehr weit, der Mond scheint hell, und es spuken auch noch keine Geister herum.« Er lächelte. »Bedanken Sie sich bitte noch einmal bei Mary dafür, dass sie so nett zu Tascha war.«
    »Ich glaube, Tascha ist genau das, was Mary braucht.«
    »Und umgekehrt. Menschen brauchen immer die Gesellschaft anderer Menschen.«

    Ich nickte und wünschte dabei, ich hätte den Anstand, den Blick zu senken oder zart zu erröten, doch stattdessen sah ich ihm fest in die Augen. Er griff nach meiner Hand.
    »Es gibt für alles eine Erklärung«, sagte er leise. »Machen Sie sich keine Sorgen, Eleanor.«
    »Ich werde es versuchen.«
    »Mehr kann man nicht verlangen, schätze ich. Dann gute Nacht. Ich wünsche Ihnen angenehme Träume.«
    Er zog meine Finger an die Lippen, dann gab er meine Hand frei und verschwand in den Schatten des Gartens, der im Dunkel so still und verlassen wirkte wie eine leere Kathedrale. Ich blickte zu dem Haus auf dem Hügel hinüber, wo gleichfalls alles dunkel und still war, und erschauerte trotz der warmen Nachtluft. Dann flüchtete ich zu dem hell erleuchteten Herrenhaus zurück.
    Jetzt, im Nachhinein, erscheint es mir nahezu unbegreiflich, dass ich Eden’s Meadow damals noch als einen sicheren Hafen betrachtete.

9. Kapitel
    C hopins Balladen zählen zu den schönsten seiner Kompositionen, mit Sicherheit aber zu den abwechslungsreichsten und musikalisch ausgeklügeltesten. Bis zu dem Abend, an dem ich Alexander in der Symphony Hall die g-Moll-Ballade hatte spielen hören, hatte ich nicht viel von Chopin gehalten, ich fand ihn irgendwie gewöhnlich. Mein Großvater nannte mich einen hoffnungslosen Fall, als ihm dies zu Ohren kam, Mary warf mir einen ihrer mitleidigen Blicke zu. Trotzdem ließ ich mich nicht von meiner Vorliebe für die mathematische Präzision Bachs und die tosende Leidenschaft Beethovens abbringen.
    Nachdem ich Alexander an jenem Abend Chopin hatte spielen hören, begann ich jedoch allmählich zu begreifen, warum seine Musik so viele Menschen fesselte. Danach dachte ich viel über die Ballade nach, und in den Tagen nach der Erkundung des Hauses auf dem Hügel kreisten meine Gedanken fast zwanghaft um sie.
    Eine Ballade ist gemäß ihrer Definition eine in Musikform erzählte Geschichte, und obwohl ich mich insgeheim eine Närrin schalt, ließ mich die fixe Idee nicht los, die Geschichte dieser speziellen Ballade müsse irgendwie im Zusammenhang mit den seltsamen Vorfällen der letzten Tage stehen. Ich suchte meine alten Noten heraus und begann zu spielen. Doch je länger ich spielte und dabei angestrengt nachdachte, desto stärker wurde mein Eindruck, dass die Ballade mir nur immer neue Rätsel aufgab, statt alte zu lösen. Nach einer Stunde gab ich frustriert auf, hob den Kopf und sah Mary auf der Türschwelle stehen.

    »Du weißt doch, dass du ruhig hereinkommen kannst«, sagte ich barscher, als nötig gewesen wäre.
    Zögernd trat sie zu einem der Sofas. »Du hast so herrlich gespielt, da wollte ich dich nicht stören.«
    Geistesabwesend ließ ich meine rechte Hand über die Tasten gleiten, dabei spähte ich zu dem wolkenverhangenen Himmel über dem See hinüber. Trübe Tage hatte ich schon immer gehasst; hier in Louisiana, wo sie mit hoher Luftfeuchtigkeit und Hitze einhergingen, waren sie nahezu unerträglich. »Du hättest mich nicht gestört. Ich bin sowieso ein bisschen durcheinander.« Ich stand auf, klappte den Deckel über die Tasten, ging zu ihr hinüber und setzte mich neben sie.
    Mary

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