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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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lächelte ihn ungläubig an. Er nickte bekräftigend. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich dieses Stück nicht spielen kann«, beharrte ich, als mir klar wurde, dass er es ernst meinte.
    »Ich glaube, das können Sie doch.«
    »Das ist doch lächerlich. Ich versuche seit Monaten…«
    Er zuckte die Achseln. »Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht weiß, was Sie leisten können.«
    Ich betrachtete die Noten einen Moment lang, dann legte ich die Finger auf die Tasten und begann zögernd, viel zu langsam zu spielen. Bei der vierten Zeile verhaspelte ich mich und sah Alexander hilflos an. Sein Gesicht zeigte keine Regung.
    »Nun?«, fragte ich herausfordernd.
    »Nun was? Ist das das Beste, was Sie zu Stande bringen?«
    »Reicht das denn nicht?« Allmählich begann ich mich über ihn zu ärgern.
    Er lachte laut auf. »Bei allem nötigen Respekt, Eleanor - ich bin froh, dass Sie nie meine Schülerin waren.« Ich zog hochmütig die Brauen hoch, was nicht den geringsten Eindruck auf ihn machte. »Gehen Sie an jedes Stück auf diese Weise heran?«, fragte er.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Geben Sie immer gleich auf, wenn es nicht beim ersten Versuch klappt?«
    »Haben Sie mir eigentlich nicht zugehört?«, entrüstete ich mich. »Ich schlage mich schon seit Monaten mit dieser
Etüde herum, ohne damit klarzukommen. Es hat einfach keinen Sinn!«
    Alexander stand auf und begann im Raum auf und ab zu gehen. »Weil Sie sie als einen Gegner betrachten, den es zu besiegen gilt. Aber ein Musikstück ist kein Gegner, sondern ein Werkzeug. Ohne Sie ist es nur ein Hieroglyphendschungel. Ich maße mir nicht an, die Musik als Ihre Freundin zu bezeichnen, Eleanor, aber sie ist ganz gewiss auch nicht Ihre Feindin. Sehen Sie denn nicht, dass Sie ihre Seele in den Händen halten? Menschen sind mit Fehlern und Mängeln behaftete Geschöpfe, aber manche verfügen auch über große Gaben, für die sie ihrem Schöpfer danken sollten, und wenn Sie ein Musikstück meistern, dann sind Sie Gott am nächsten, das müssen Sie begreifen. Und jetzt spielen Sie!«
    Er hatte sich in Feuer geredet, auf seinen bleichen Wangen loderten rote Flecken. Er sah mich nicht an, sondern durch mich hindurch, und ich begriff einmal mehr, dass ich mich in der Gegenwart eines Mannes befand, der mit mehr Gaben gesegnet war, als ich mir vorstellen konnte. Gehorsam wandte ich mich wieder zu dem Klavier und spielte. Diesmal stolperte ich erst in der sechsten Zeile, hielt inne und funkelte Alexander zornig an. Er hatte sein rastloses Auf- und Abgehen wieder aufgenommen und sah mich nicht an.
    »Ihr Spiel war perfekt, ein wenig zu langsam zwar, aber das legt sich mit der Zeit. Stellen Sie sich den Rest des Stückes als eine leicht abgewandelte Wiederholung der ersten Zeilen vor. Und haben Sie Geduld.«
    »Daran hat es mir schon immer gemangelt.«
    »Das habe ich auch schon gemerkt. Und ich verstehe, wie frustrierend es ist, genau zu wissen, wie ein Stück klingen muss und nicht in der Lage zu sein, es so zu spielen. Aber Sie müssen aufhören, etwas erzwingen zu wollen.«

    Ich schüttelte lachend den Kopf. »Sie klingen wie mein Lehrer in Boston. Er sagte immer, ich solle nichts überstürzen, sondern erst einmal alte Fehler korrigieren, ehe ich neue mache. Vor allem sollte ich die Noten lesen, selbst wenn ich genau wüsste, wie das Stück klingen soll.«
    »Warum haben Sie nicht auf ihn gehört?«
    Ich hob die Schultern. »Ungeduld, nehme ich an. Oder blanke Eitelkeit.«
    Alexander kam zum Klavier zurück und setzte sich wieder. Die Leidenschaft in seinen Augen erlosch allmählich. »Nun, wenn es um Musik geht, müssen Sie Erstere bezähmen und Letztere unterdrücken. Darf ich?« Er deutete auf die Bank. Ich erhob mich, er nahm meinen Platz ein und begann zu spielen. Seine Finger flogen mühelos über die Tasten, ohne ein einziges Mal ins Stocken zu geraten. Nach ein paar Minuten hielt er inne.
    Ich schüttelte den Kopf. »So schön wie Sie werde ich nie spielen.«
    Er musterte mich mit aufrichtiger Verwunderung. »Das tun Sie doch schon.«
    »Aber nicht mit solcher Leichtigkeit.«
    »Auch das stimmt nicht. Ich gehe nur anders an die Sache heran.«
    »Und wie, wenn ich fragen darf?«
    Er studierte die Noten einen Moment lang, dann sagte er: »Wir wollen einmal etwas versuchen. Prägen Sie sich die erste Zeile genau ein, so lange, bis Sie sie mit geschlossenen Augen sehen können. Dann spielen Sie sie. Denken Sie nicht daran, dass Sie einen Fehler machen könnten.

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