Die Straße nach Eden - The Other Eden
dünnen, zittrigen Linien, die ein paar durch eine zerbrochene Scheibe der Glastür hereingewehte
Blätter hinterlassen hatten, war die stumpfgraue Oberfläche unberührt. Alexander maß mich mit einem ungläubigen Blick.
»Das gibt es doch gar nicht!«, entfuhr es mir. »Es ist alles weg! Das Sofa, der Schreibtisch…« Ich fuhr zu Alexander herum. »Alexander, ich habe dir kein Märchen aufgetischt! Das Zimmer war möbliert, als ich es zuletzt gesehen habe, und es sah aus, als würde es bewohnt. Das musst du mir glauben!«
Alexander betrachtete den im Sonnenlicht flirrenden Staubteppich. »Ich glaube dir ja. Aber kann es nicht sein, dass du dich geirrt hast und das hier das falsche Zimmer ist?«
»Unsinn«, schnaubte ich. »Es gibt nur diesen einen Turm, und hier oben gibt es nur ein einziges Zimmer.«
Er seufzte. »Dann lautet die naheliegendste Erklärung wohl, dass der- oder diejenige, die du an jenem Tag Klavier spielen gehört hast - wer immer das auch sein mag - mitbekommen hat, dass du im Haus herumgestöbert hast, und alle Spuren ihrer Anwesenheit verwischt hat.«
»Aber wie erklärst du dir den Staub? Und die zerbrochene Scheibe? Der Raum sieht aus, als wäre er seit Jahren nicht mehr betreten worden. Außerdem … warum sollte sich jemand die Mühe machen, alle Möbel fortzuschaffen, wenn er doch wusste, dass ich sie schon gesehen hatte?«
Alexander bückte sich, um die Staubschicht auf dem Boden zu inspizieren, berührte sie und rieb geistesabwesend die Fingerkuppen gegeneinander. Dann richtete er sich wieder auf, betrachtete den gesprungenen Spiegel und machte Anstalten, das Zimmer zu betreten.
»Geh da nicht hinein!« Ich packte ihn erschrocken am Arm.
»Warum denn nicht?«
»Ich … ich glaube, du solltest lieber nichts anfassen.«
»Das ist doch albern, Eleanor.«
»Bitte … Alexander, ich bekomme es allmählich mit der Angst zu tun. Lass uns von hier verschwinden.«
»Gut, gehen wir nach Hause«, willigte er ein.
Ich führte ihn die Stufen hinunter und zur Vordertür hinaus. Zwar wagte ich nicht, mich noch einmal umzudrehen, aber ich wusste, dass wir dieses Haus nicht zum letzten Mal gesehen hatten.
15. Kapitel
D ie nächsten beiden Wochen verliefen harmonisch und friedlich. Mit jedem Tag fühlte ich mich stärker an Alexander gebunden, bis ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen konnte, dass es einmal eine Zeit gegeben hatte, in der wir einander nicht gekannt und geliebt hatten - so, wie es fast allen Menschen ergeht, wenn sie zum ersten Mal heftig verliebt sind.
Über das Haus auf dem Hügel verloren wir kein Wort mehr. Ohne Alexander oder Mary einzuweihen schrieb ich an das Krankenhaus in Paris, dessen Name auf dem angeblichen Totenschein meiner Mutter gestanden hatte, bat um eine Bestätigung dieses Todesfalles und versuchte dann, die ganze Angelegenheit vorübergehend zu vergessen.
Wer sich jedoch immer wieder ungebeten in meine Gedanken schlich, war Dorian Ducoeur. Ich fürchtete mich vor dem Wiedersehen mit ihm, doch die große Gesellschaft auf Joyous Garde rückte immer näher. Ich war davon ausgegangen, dass Alexander die Einladung nicht annehmen würde, aber er zögerte nur einen Moment, als ich ihn bat, uns zu begleiten. Tascha sollte in Colettes Obhut im Herrenhaus bleiben.
Am Abend des Festes stand ich voller Verzweiflung vor meinem Kleiderschrank und sah meine Sachen durch. Ich musste rasch einsehen, dass die Kleider, die ich in Boston zu gesellschaftlichen Anlässen getragen hatte, für Louisiana ungeeignet waren. Die Stoffe waren für das hiesige Klima zu schwer, die Schnitte für die verblassende Dekadenz rings um mich herum zu schlicht und bescheiden. Zeit zum Einkaufen
blieb mir nicht mehr, selbst wenn es im Dorf ein paar gute Geschäfte gegeben hätte.
»Hör auf, dir den Kopf darüber zu zerbrechen, was du anziehen sollst.« Mary trat mit einer großen Schachtel in den Händen in mein Zimmer. »Ich habe mir schon gedacht, dass du gar nicht auf den Gedanken kommen würdest, dir für diesen Anlass ein neues Kleid zu kaufen, also habe ich Colette gebeten, sich in New Orleans nach etwas Passendem umzusehen, als sie ihre Mutter besucht hat. Allerdings musste ich mich ganz auf ihren Geschmack verlassen.« Sie öffnete die Schachtel und hob ein zartrosafarbenes Ballkleid heraus.
»Oh, Mary, das ist ja wunderschön!« Ich umarmte sie, dann nahm ich ihr das Kleid ab. Es war nach der letzten Mode gearbeitet, Perlen und Ziermünzen glitzerten an dem engen Mieder, der
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