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Die Straße nach Eden - The Other Eden

Titel: Die Straße nach Eden - The Other Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Rock bestand aus mehreren Lagen duftiger Gaze.
    »Probier es an.« Mary half mir hinein und schloss die Perlmuttknöpfe.
    Als ich mich schließlich im Spiegel betrachtete, verschlug mein Anblick mir den Atem. Ich stellte fest, dass ich etwas von dem Gewicht, das ich nach dem Tod meines Großvaters verloren hatte, wieder aufgeholt hatte. Trotzdem war ich noch immer sehr dünn. Meine Züge kamen mir unnatürlich kantig vor, was mich älter erscheinen ließ, doch das war mir nur recht. Die Farbe des Kleides verlieh meinem sonst so blassen Gesicht einen rosigen Schimmer, und in meinen dunklen Augen und dem Schnitt von Nase und Mund erkannte ich plötzlich die Zwillinge wieder, oder vielmehr schienen ihre Züge und die meinen wie ein Kaleidoskopbild miteinander zu verschmelzen.
    Mary berührte mich sacht an der Schulter. »Du musst es nicht tragen, wenn es dir nicht gefällt.«
    »Es gefällt mir sogar sehr, Mary. Ich … ich habe mich nur so noch nie gesehen.«

    »Nein«, pflichtete sie mir bei. »Du hast dich zwar oft im Spiegel betrachtet, aber ich glaube, du warst blind für das, was er dir wirklich gezeigt hat. Schau dich nur gut an, Eleanor. Du hast dich zu einer Schönheit entwickelt. Eines Tages wirst du so aussehen wie ich.«
    Ich musterte unsere Spiegelbilder prüfend. Zwischen uns bestand tatsächlich eine unübersehbare Ähnlichkeit. Mary war so groß wie ich und hatte dieselbe schlanke Figur, sie trug ihr Haar lang, genau wie ich. In ihrem fein geschnittenen, trotz einiger feiner Fältchen alterslos anmutenden Gesicht schimmerten die Augen wie Saphire. Eines Tages, dachte ich, wache ich vielleicht auch aus einer Art Dornröschenschlaf auf und stelle fest, dass ich gealtert bin. Ich hoffte nur, dass ich die Last der Jahre dann mit ebensolcher Würde tragen konnte und ich die alte Frau, die mir aus dem Spiegel entgegenblickte, immer noch mit heiterer Gelassenheit anlächeln würde.
    Dann wandte ich mich mit einem leisen Kopfschütteln an Mary. »Nein, Mary. Du bist schöner, als ein junges Mädchen es je sein könnte.«
    Sie drückte mir lächelnd einen Kuss auf die Wange. »Es ist eine seltene Gabe, überzeugend lügen zu können«, sagte sie, dann rauschte sie in einer Wolke aus pastellfarbener Gaze und Sandelholzparfüm aus dem Raum.
    Ich sah ihr nach, dabei fragte ich mich zum ersten Mal, was sie wohl von meiner veränderten Beziehung zu Alexander hielt. Obwohl mir klar war, dass sie wusste, wie wir jetzt zueinander standen, hatten wir nie darüber gesprochen, und mittlerweile fürchtete ich, dass wir es auch nicht mehr tun würden. Die beste Gelegenheit zu einem offenen Gespräch - der Morgen nach jener stürmischen Regennacht, die ich in Alexanders Cottage verbracht hatte - war wegen Taschas plötzlicher Krankheit ungenutzt verstrichen. Und nachdem Tascha sich wieder erholt hatte,
fand ich einfach nicht mehr die richtigen Worte, um das Thema anzuschneiden.
    Im Nachhinein glaube ich, dass dies nur ein Vorwand war, weil ich mich vor dieser Unterredung gefürchtet hatte. Bis vor Kurzem hatte ich mich stets hinter einer undurchdringlichen unsichtbaren Mauer verschanzt, deren Fundament zweifellos nach dem Verlust meiner Mutter gelegt worden war. Ich wollte um jeden Preis verhindern, verletzt zu werden. Aber dieser Schutzwall hatte nach dem Tod meines Großvaters Risse bekommen, und in den Wochen, in denen ich die erste Liebe erlebte, war das Mädchen, das ich einst war, endgültig verschwunden und eine Fremde war an seine Stelle getreten. Seit ich mich in Alexander verliebt hatte, war ich mit niemandem außer ihm, Mary, Tascha und Colette zusammen gewesen, und ich wusste nicht, ob ich mich ohne meinen schützenden Panzer aus geistreichem Witz und lockerem Geplänkel in der Gesellschaft anderer Menschen behaupten könnte.
    Seufzend drehte ich mich wieder zum Spiegel um und überlegte, ob ich wie früher zu solchen Anlässen Schmuck anlegen und Make-up auflegen sollte, entschied mich aber dagegen und beschränkte mich auf den Diamantanhänger meiner Mutter und einen Hauch Puder. Ich steckte mein Haar hoch und befestigte es mit der schlichten Goldspange, die mein Großvater mir zu meinem zwölften Geburtstag geschenkt hatte, dann ging ich nach unten, um auf Alexander zu warten.
    Mary stand an einem Fenster im hinteren Teil der Halle. »Eleanor! Mein Gott, hast du mich erschreckt!«, sagte sie, als ich neben sie trat.
    »Warum machst du denn kein Licht?« Ich wollte zu einer der Wandlampen hinübergehen, doch sie

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