Die Straße nach Eden - The Other Eden
engen Freunde in Boston gewonnen.
Trotz der Abenteuerlust, die mich dazu gebracht hatte, Eves Traumworten zu folgen und in ein neues Leben aufzubrechen, war ich für Marys unaufdringliche Gesellschaft zutiefst dankbar, als wir die Reise schließlich antraten. Sie verlieh dem Umstand, dass wir alles bislang Vertraute hinter uns zurückließen, etwas seltsam Tröstliches. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn es sich nicht so verhalten hätte, denn Eden’s Meadow erwies sich von Anfang an als das genaue Gegenteil all unserer Erwartungen.
Da ich als Yankee geboren und aufgewachsen war, hatte mich nichts auf die träge Schönheit des tiefen Südens vorbereitet: den in meinen Adern widerhallenden Pulsschlag des Landes, die intensive unterschwellige Energie. Von dem Moment an, als ich erstmals den Fuß auf den Boden Loui sianas setzte, konnte ich spüren, wie die ungezähmte Kraft des Grases und der Bäume aus ihren Wurzeln in mich hineinströmte. Ich fühlte mich von dem Land wie magisch angezogen, konnte aber nicht sagen, ob dieses Gefühl heilsam oder krankhaft war, auch wenn ich mich noch so sehr
bemühte, die Dinge sachlich und nüchtern zu betrachten. Mit dem Egoismus der Jugend ging ich davon aus, dass es nur mir allein vorbehalten war, so zu empfinden, und sprach deshalb nicht mit Mary darüber. Heute nehme ich an, dass ihre Gefühle den meinen sehr ähnelten, nur dass ihre Beweggründe dafür, sie nicht mit mir zu teilen, weitaus selbstloser waren als die meinen. Ich frage mich sogar, ob wir, wenn wir uns damals schon unser Unbehagen eingestanden hätten, vielleicht geschlagen gegeben hätten und nach Hause zurückgekehrt wären, wodurch uns viel Kummer und Leid erspart geblieben wäre.
Natürlich schwiegen sowohl Mary als auch ich, sie aus Sorge um mein Wohlergehen, ich aus Stolz, und ein paar Wochen lang gelang es mir tatsächlich, mir einzureden, meine Beklommenheit rühre nur von der ungewohnten Umgebung her. Doch nachdem der Ort uns allmählich vertraut geworden war, konnte ich die Augen nicht länger vor der Tatsache verschließen, dass irgendwas in dem Aufruhr widersprüchlicher Gefühle fehlte, den er in mir auslöste. Je mehr ich mich an das Haus zu gewöhnen begann, desto stärker wurde meine innere Unrast, bis ich endlich erkannte, was fehlte - Zuneigung. Ich liebte Eden’s Meadow nicht, was ich meiner Ansicht nach eigentlich tun sollte, ich konnte es nicht lieben, obwohl ich mir sagte, dies läge einzig und allein an meinem dummen Aberglauben. Ich hatte mich bislang stets auf meine ersten Eindrücke verlassen und mir immer eine feste Meinung gebildet, und es dauerte nicht lange, bis ich begriff, dass ich mich auf eine nebulöse, schwer greifbare Weise vor Eden’s Meadow fürchtete, die meinem Wesen völlig fremd war. Als ich endlich den Mut fand, mir dies einzugestehen, erkannte ich auch, dass mich diese Furcht vom ersten Tag an begleitet hatte.
Ich kann mich noch genau an unsere Ankunft erinnern. Auf der langen Fahrt von der Hauptstraße zum Herzen von
Eden’s Meadow gab es außer den surrealistisch anmutenden Formen des gelegentlich von grünen Wiesen durchsetzten Urwaldes wenig zu sehen. Die Fahrt lullte mich ein. Ich nehme an, ich dachte, das Haus würde sich, wenn wir es erreichten, nahtlos in seine verträumte Umgebung einfügen.
Noch während sich dieser Gedanke in meinem Kopf formte, teilte sich die Wildnis, das Haus stand in all seiner verfallenden Pracht vor uns und machte alle unsere Illusionen zunichte. Aufgrund jahrelanger Vernachlässigung war es fast vollständig von einem Pflanzendickicht überwuchert. Im Wind wehende Vorhänge aus Bougainvilleen und Efeu hingen vom Dach herab und verwoben sich mit dem vom Boden heraufkletternden Geißblatt. Die Wände darunter schienen aus verwitterten, weiß getünchten Ziegeln zu bestehen. Mächtige Säulen trugen das schwere Gebälk, bogenförmige Glastüren verliefen entlang der oberen und unteren Galerie. Bei einigen waren schwarze Holzläden erhalten geblieben.
Die mit weißem, von Fingergras und anderem Unkraut durchsetztem Kies bestreute Auffahrt beschrieb einen weitläufigen Kreis. In der Mitte dieses Kreises breitete eine alte Magnolie ihre mit blassgrünen, eng zusammengerollten Blattknospen besetzten Äste über einer Grasfläche aus. Am anderen Rand dieser Rasenfläche kennzeichneten schwarze Zypressen das Ufer eines Sees, dahinter standen einige moosbehangene Eichen und Sykomoren. Die große Eingangstür des Hauses mit dem
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