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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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dem Kind.
    Was soll denn das werden?
    Er gab keine Antwort. Er war groß, aber sehr schnell. Er warf sich auf den Jungen, packte ihn, wälzte sich herum und kam wieder hoch, den Jungen an seine Brust gedrückt, das Messer an dessen Kehle. Der Mann war bereits in die Hocke gegangen, folgte, die Waffe in beiden Händen, der Bewegung des anderen, zielte und schoss, mit beiden Knien das Gleichgewicht haltend, aus einer Entfernung von knapp zwei Metern.
    Der andere fiel sofort nach hinten, und aus dem Loch in seiner Stirn quoll Blut. Der Junge lag ohne jeden Ausdruck im Gesicht auf dem Schoß des Toten. Er steckte den Revolver in seinen Gürtel, warf sich den Rucksack über die Schulter, zog den Jungen hoch, drehte ihn um, hob ihn über seinen Kopf, setzte ihn sich auf die Schultern und rannte in scharfem Tempo den Fahrweg hinauf, hielt den Jungen dabei an den Knien fest, den Jungen, der sich an seiner Stirn festklammerte, blutbesudelt und stumm wie ein Stein.
     
    Sie kamen zu einer alten Eisenbrücke im Wald, wo die verschwundene Straße einen nahezu verschwundenen Fluss überquert hatte. Er begann zu husten, obwohl er kaum genügend Luft dafür bekam. Geduckt schwenkte er von der Straße ab in den Wald. Er drehte sich um, blieb nach Luft ringend stehen und versuchte zu lauschen. Er hörte nichts. Er wankte noch etwa einen Kilometer weiter, sank schließlich auf die Knie und setzte den Jungen in Asche und Laub ab. Er wischte ihm das Blut vom Gesicht und hielt ihn an sich gedrückt. Alles okay, sagte er. Alles okay.
     
    Den langen kalten Abend hindurch, während sich Dunkelheit herabsenkte, hörte er sie nur einmal. Er hielt den Jungen eng an sich gedrückt. In seinem Hals steckte ein Husten, das sich niemals löste. Der Junge, durch seine Jacke hindurch ganz zart und dünn, zitterte wie ein Hund. Die Schritte im Laub hielten inne. Dann bewegten sie sich weiter. Die Männer redeten weder, noch verständigten sie sich durch Zurufe, was die Sache nur noch unheimlicher machte. Mit dem endgültigen Einbruch der Dunkelheit schloss sich die eiserne Kälte um alles, und mittlerweile zitterte der Junge heftig. Hinter der Düsternis ging kein Mond auf, und es gab keinen Zufluchtsort. Ihr Rucksack enthielt eine einzige Decke, er holte sie heraus, wickelte den Jungen darin ein, zog den Reißverschluss seines Parkas auf und drückte den Jungen an sich. So lagen sie lange Zeit da, aber sie froren, und schließlich setzte er sich auf. Wir müssen weiter, sagte er. Wir können nicht einfach hier liegen. Er blickte sich um, aber es war nichts zu sehen. Er sprach in eine Schwärze ohne Tiefe und Dimension.
     
    Er hielt den Jungen bei der Hand, während sie durch den Wald stolperten. Die andere Hand hielt er ausgestreckt vor sich. Mit geschlossenen Augen hätte er auch nicht schlechter gesehen. Der Junge war in die Decke gehüllt, und er sagte ihm, er solle sie nicht verlieren, weil sie sie nie wiederfinden würden. Das Kind wollte getragen werden, aber der Mann sagte ihm, er müsse in Bewegung bleiben. Die ganze Nacht stolperten und fielen sie durch den Wald, und lange vor Morgengrauen stürzte der Junge und wollte nicht wieder aufstehen. Er hüllte ihn in seinen eigenen Parka, wickelte ihn in die Decke und wiegte ihn eng an sich gedrückt im Sitzen hin und her. Im Revolver noch eine einzige Patrone. Du willst der Wahrheit nicht ins Auge sehen. Du willst einfach nicht.
     
    In dem widerwilligen Licht, das als Tag firmierte, setzte er den Jungen ins Laub und musterte aufmerksam den Wald. Als es etwas heller wurde, stand er auf, ging ein Stück weit, schritt dann einen Kreis um ihr Indianerlager ab und hielt nach Hinweisen Ausschau, ohne jedoch etwas anderes zu finden als ihre eigene schwache Spur in der Asche. Er ging zurück und
    zog den Jungen hoch. Wir müssen gehen, sagte er. Der Junge zusammengesackt, sein Gesicht ausdruckslos. Der Dreck in seinem Haar getrocknet, sein Gesicht davon gestreift. Sprich mit mir, sagte er, aber der Junge blieb stumm.
     
    Sie bewegten sich zwischen den noch stehenden toten Bäumen hindurch in Richtung Osten. Sie kamen an einem alten Holzhaus vorbei und überquerten eine ungepflasterte Straße. Ein gerodetes Stück Land, früher vielleicht einmal eine Gemüsefarm. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, um zu lauschen. Die unsichtbare Sonne warf keine Schatten. Sie stießen unerwartet auf die Straße, er hielt den Jungen mit einer Hand zurück, und sie kauerten wie Aussätzige im Straßengraben und

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