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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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Buschwerks unter die Brücke und machte es klein, indem er sich auf die Zweige stellte und sie in der passenden Länge abbrach. Er dachte, der Lärm werde den Jungen aufwecken, aber das war nicht der Fall. Das feuchte Holz zischte in den Flammen, es schneite weiter. Am Morgen würden sie sehen, ob auf der Straße Spuren waren oder nicht. Es war seit über einem Jahr der erste Mensch außer dem Jungen gewesen, mit dem er gesprochen hatte. Endlich mein Bruder. Das rep-tilienhaft Berechnende in den kalten, ruhelosen Augen. Die grauen, fauligen Zähne. Von Menschenfleisch verklebt. Der mit jedem Wort eine Lüge aus der Welt gemacht hat. Als er wieder aufwachte, hatte es zu schneien aufgehört, und die körnige Dämmerung modellierte die nackten Waldungen jenseits der Brücke heraus, die Bäume, die sich schwarz vom Schnee abhoben. Er lag zusammengekrümmt da, die Hände zwischen den Knien, und er setzte sich auf, brachte das Feuer in Gang und stellte eine Dose Beten in die Glut. Der Junge lag zusammengekauert auf dem Boden und sah ihm zu.
     
    Der Neuschnee lag in dünnen Schichten überall im Wald, auf den Zweigen und in Blätter geschmiegt, schon grau von Asche. Sie marschierten zu der Stelle, wo sie den Wagen zurückgelassen hatten, er legte den Rucksack hinein und schob ihn auf die Straße. Keine Spuren. Sie lauschten in der vollkommenen Stille. Dann machten sie sich durch den grauen Matsch auf den Weg, der Junge neben ihm mit den Händen in den Taschen.
     
    Sie trotteten den ganzen Tag dahin, der Junge schweigend. Bis zum Nachmittag war der Schneematsch von der Straße geschmolzen, und bis zum Abend war sie trocken. Sie machten nicht halt. Wie viele Kilometer? Zwölf, fünfzehn. Früher hatten sie mit vier großen Unterlegscheiben, die sie in einem Eisenwarenladen gefunden hatten, ein Wurfringspiel gespielt, doch die waren nun wie alles andere weg. In jener Nacht kampierten sie in einer Schlucht, machten an einem kleinen Felsvorsprung ein Feuer und aßen ihre letzte Konservendose. Er hatte sie bis jetzt zurückgehalten, weil es das Lieblingsgericht des Jungen war, Schweinefleisch mit Bohnen. Sie sahen zu, wie es in der Glut langsam vor sich hin blubberte, dann nahm er die Dose mit der Zange heraus, und sie aßen stumm. Er schwenkte die leere Dose mit Wasser aus, gab sie dem Kind zu trinken, und damit hatte es sich. Ich hätte vorsichtiger sein müssen, sagte er.
    Der Junge blieb stumm.
    Du musst mit mir reden.
    Okay.
    Du wolltest wissen, wie die Bösen aussehen. Jetzt weißt du es. Vielleicht passiert das wieder. Meine Aufgabe ist es, auf dich aufzupassen. Damit hat mich Gott beauftragt. Ich bringe jeden um, der dich anfasst. Verstehst du?
    Ja.
    Der Junge saß da, bis über den Kopf in die Decke gehüllt. Nach einer Weile blickte er auf. Sind wir immer noch die Guten?, fragte er.
    Ja. Wir sind immer noch die Guten.
    Und das werden wir auch immer sein.
    Ja. Das werden wir immer sein.
    Okay.
    Am anderen Morgen stiegen sie aus der Schlucht heraus und machten sich wieder auf den Weg. Aus einem Stück Rohr an der Straße hatte er dem Jungen eine Flöte geschnitzt, die er nun aus seiner Jackentasche zog und ihm gab. Der Junge nahm sie wortlos entgegen. Nach einer Weile fiel er zurück, und wieder etwas später konnte der Mann ihn spielen hören. Eine formlose Musik für das kommende Zeitalter. Oder vielleicht die letzte Musik auf der Erde, beschworen aus der Asche ihres Untergangs. Der Mann drehte sich um und betrachtete ihn. Er war völlig in sein Spiel vertieft. Er kam ihm vor wie ein trauriger, einsamer Wechselbalg, der die Ankunft eines Wanderschauspiels in Grafschaft und Dorf ankündigt und noch nicht weil?, dass hinter ihm alle Schauspieler von Wölfen verschleppt worden sind.
     
    Er saß im Schneidersitz auf dem höchsten Punkt eines Kammes im Laub und suchte mit dem Fernglas das Tal unten ab. Die stille, wie gegossene Form eines Flusses. Die dunklen Ziegelsteinschornsteine einer Fabrik. Schieferdächer. Ein alter, hölzerner Wasserturm, mit eisernen Reifen verstärkt. Kein Rauch, keine Regung von Leben. Er senkte das Fernglas und beobachtete weiter.
    Was siehst du?, fragte der Junge.
    Nichts.
    Er reichte ihm das Fernglas hinüber. Der Junge streifte sich den Trageriemen über den Kopf, nahm das Fernglas vor die Augen und stellte es scharf. Alles um sie herum ganz still.
    Ich sehe Rauch, sagte er.
    Wo?
    Hinter den Gebäuden da.
    Was für Gebäude?
    Der Junge gab ihm das Fernglas zurück, und er stellte es neu

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