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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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sie die Motorhaubenverriegelung lösten und die Motorhaube anhoben. Er hatte den Arm um den Jungen gelegt. Pst, sagte er. Pst. Nach einer Weile hörten sie den Lastwagen anrollen. Rumpeln und ächzen wie ein Schiff. Wahrscheinlich konnten sie ihn nur durch Anschieben in Gang setzen, und auf diesem Hang erreichten sie nicht genügend Geschwindigkeit, um ihn zu starten. Nach ein paar Minuten hustete und bockte der Motor und ging erneut aus. Er hob suchend den Kopf, und keine zehn Meter entfernt kam einer von ihnen, der im Gehen seinen Gürtel löste, durch das Unkraut. Beide erstarrten sie.
     
    Er spannte den Hahn und richtete den Revolver auf den Mann, der, einen Arm leicht vom Körper abgespreizt, dastand, während die schmutzige, zerknitterte Staubmaske, die er trug, sich abwechselnd blähte und einbuchtete.
    Schon langsam näher kommen.
    Der Mann schaute zur Straße.
    Schau nicht dorthin. Schau mich an. Ein Laut, und du bist tot.
    Den Gürtel in einer Hand, kam er näher. Die Löcher darin markierten seine fortschreitende Abmagerung, und das Leder wies eine wie lackiert wirkende Stelle auf, wo er es gewohnt war, die Klinge seines Messers abzuziehen. Er trat auf die Fahrbahn herunter, und sein Blick ging von dem Revolver zu dem Jungen. Die Augen eingefasst von schmutzigen Höhlen und tief eingesunken. Als säße ein Tier in seinem Schädel und blickte zu den Augenlöchern hinaus. Er trug einen Bart, der unten mit einer Schere gerade abgeschnitten worden war, und seinen Hals zierte die Tätowierung eines Vogels, ausgeführt von jemandem mit einer verqueren Vorstellung von der Gestalt dieser Tiere. Er war mager, drahtig, rachitisch. Trug einen verdreckten blauen Overall und eine schwarze Schirmmütze, in die vorne das Logo irgendeines längst nicht mehr existierenden Unternehmens eingestickt war.
    Wo willst du hin?
    Ich wollte scheißen gehen.
    Wo wollt ihr mit dem Laster hin?
    Ich weiß nicht.
    Was heißt hier, du weißt es nicht? Nimm die Maske ab.
    Der andere zog sich die Maske über den Kopf vom Gesicht, stand da und hielt sie in der Hand
    Das heißt, dass ich es nicht weiß.
    Du weißt nicht, wo ihr hinwollt?
    Nein.
    Mit was fährt der Laster?
    Diesel.
    Wie viel habt ihr?
    Auf der Pritsche stehen drei Zweihundert-Liter-Fässer.
    Habt ihr Munition für die Gewehre?
    Der Mann blickte zurück zur Straße.
    Ich habe dir gesagt, du sollst nicht dahin schauen.
    Ja. Wir haben Munition.
    Wo habt ihr die her?
    Gefunden.
    Das ist gelogen. Was esst ihr?
    Was wir so rinden.
    Was ihr so findet.
    Ja. Er sah den Jungen an. Du schießt nicht, sagte er.
    Das glaubst du.
    Du hast bloß zwei Patronen. Vielleicht auch nur eine. Und die werden den Schuss hören.
    Ja, das stimmt. Aber du nicht.
    Wieso denn das?
    Weil die Kugel schneller ist als der Schall. Sie wird in deinem Gehirn stecken, ehe du sie hören kannst. Um sie zu hören, brauchtest du einen Frontallappen und außerdem so Sachen, die zum Beispiel Colliculus und Gyrus temporalis medialis heißen, und die hast du dann nicht mehr. Die sind dann bloß noch Brei.
    Bist du Arzt?
    Ich bin gar nichts.
    Wir haben einen Verletzten. Es wäre nicht zu deinem Schaden.
    Sehe ich so aus, als wäre ich schwachsinnig?
    Ich weiß nicht, wie du aussiehst.
    Warum schaust du ihn an?
    Ich kann hinschauen, wo ich will.
    Nein, kannst du nicht. Wenn du ihn nochmal anschaust, erschieße ich dich.
    Der Junge saß, beide Hände auf der Schädelkrone, auf dem Boden und spähte zwischen den Unterarmen hindurch.
    Ich wette, der Junge hat Hunger. Warum kommt ihr nicht einfach mit zum Laster? Dort kriegt ihr was zu essen. Ist doch nicht nötig, so stur zu sein.
    Ihr habt nichts zu essen. Gehen wir.
    Wohin?
    Gehen wir.
    Ich geh nirgendwohin.
    Ach nein?
    Nein. Mach ich nicht.
    Du glaubst, ich bringe dich nicht um, aber da irrst du dich. Lieber wär̕s mir allerdings, ich würde mit dir so ungefähr zwei Kilometer die Straße da entlanggehen und dich dann freilassen. Mehr Vorsprung brauchen wir nicht. Ihr werdet uns nicht finden. Ich würdet nicht mal wissen, in welche Richtung wir gegangen sind.
    Weißt du, was ich glaube?
    Was glaubst du denn?
    Ich glaube, du bist ein Hosenscheißer.
    Er ließ den Gürtel los, der mit allem, was daran hing, auf die Fahrbahn fiel. Eine Feldflasche. Eine alte Armeegürteltasche aus Drillich. Eine Lederscheide für ein Messer. Als er aufblickte, hielt die Straßenratte das Messer in der Hand. Der Mann hatte nur zwei Schritte gemacht, stand nun aber beinahe zwischen ihm und

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