Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
Vom Netzwerk:
ein. Eine ganz fahle Rauchfahne. Ja, sagte er. Jetzt sehe ich es auch.
    Was sollen wir tun, Papa?
    Ich denke, wir sollten mal nachsehen. Wir müssen bloß vorsichtig sein. Wenn es eine Kommune ist, werden sie Barrikaden haben. Vielleicht sind es aber auch nur Flüchtlinge.
    Wie wir.
    Ja. Wie wir.
    Und wenn es die Bösen sind?
    Ein gewisses Risiko müssen wir eingehen. Wir müssen etwas zu essen auftreiben.
     
    Sie ließen den Wagen im Wald stehen, überquerten ein Eisenbahngleis und stiegen durch toten schwarzen Efeu eine steile Böschung hinunter. Er hatte den Revolver in der Hand. Bleib dicht bei mir, sagte er. Der Junge tat wie geheißen. Sie bewegten sich durch die Straßen wie Pioniere. Häuserblockweise. In der Luft ein leichter Geruch nach Holzrauch. Sie warteten in einem Laden und beobachteten die Straße, aber es rührte sich nichts. Sie durchstöberten Abfall und Trümmer. Herausgerissene und ausgekippte Schubladen, Papier und aufgequollene Pappschachteln. Sie fanden nichts. Sämtliche Geschäfte waren schon vor Jahren geplündert worden, das Fensterglas größtenteils herausgebrochen. Drinnen war es fast zu dunkel, um etwas zu sehen. Der Junge hielt sich an seiner Hand fest, als sie die gerippten Stahlstufen einer Rolltreppe hinaufstiegen. An einer Stange hingen ein paar staubige Anzüge. Sie suchten nach Schuhen, aber es gab keine. Sie durchwühlten den Abfall, aber es fand sich nichts, was sie gebrauchen konnten. Als sie zurückkamen, nahm er die Jacketts der Anzüge von den Bügeln, schüttelte sie aus und legte sie sich über den Arm. Gehen wir, sagte er.
     
     
    Er dachte, es müsse etwas Übersehenes geben, aber es gab nichts. Mit den Füßen durchwühlten sie den Abfall in den Gängen eines Supermarkts. Altes Verpackungsmaterial, Papier und die ewige Asche. Er durchsuchte die Regale nach Vitaminen. Er öffnete die Tür eines Gefrierraums, doch aus der Dunkelheit schlug ihm der säuerliche Gestank der Toten entgegen, und er schloss sie rasch wieder. Sie standen auf der Straße. Er blickte zum grauen Himmel auf. Die schwachen Wölkchen ihres Atems. Der Junge war erschöpft. Er nahm ihn bei der Hand. Ein bisschen müssen wir schon noch suchen, sagte er. Wir müssen weitersuchen.
     
    Die Häuser am Stadtrand boten wenig mehr. Über eine Hintertreppe gelangten sie in eine Küche und begannen die Schränke zu durchsuchen. Ihre Türen standen allesamt offen. Eine Dose Backpulver. Er stand da und betrachtete sie. Im Esszimmer durchstöberten sie die Schubladen einer Anrichte. Sie gingen ins Wohnzimmer. Auf dem Boden lagen wie alte Dokumente Rollen abgelöster Tapete. Der Junge blieb mit den Jacketts auf der Treppe sitzen, während er nach oben ging.
    Alles roch nach Feuchtigkeit und Moder. Im ersten Schlafzimmer ein mumifizierter Leichnam, die Decken bis zum Hals hochgezogen. Auf dem Kissen Überreste von ver- faultem Haar. Er packte den unteren Saum der Decke, zog sie vom Bett, schüttelte sie aus und klemmte sie sich gefaltet unter den Arm. Er durchsuchte die Kommoden und Schränke. Auf einem Drahtbügel ein Sommerkleid. Nichts. Er ging die Treppe hinunter. Es wurde dunkel. Er nahm den Jungen bei der Hand, und sie gingen zur Haustür auf die Straße hinaus.
     
    Auf der Hügelkuppe drehte er sich um und musterte die Stadt. Rasch hereinbrechende Dunkelheit. Er legte dem Jungen zwei Jacketts um, in denen dieser samt Parka förmlich ertrank.
    Ich habe richtig Hunger, Papa.
    Ich weiß.
    Finden wir unsere Sachen wieder?
    Ja. Ich weiß, wo sie sind.
    Und wenn jemand anders sie findet?
    Es findet sie niemand anders.
    Hoffentlich.
    Es findet sie niemand. Komm jetzt.
    Was war das?
    Ich habe nichts gehört.
    Hör doch mal.
    Ich höre nichts.
    Sie lauschten. Dann hörten sie in der Ferne einen Hund bellen. Er drehte sich um und blickte in Richtung der dunkel werdenden Stadt. Das ist ein Hund, sagte er.
    Ein Hund?
    Ja.
    Wo ist der hergekommen?
    Ich weiß nicht.
    Wir bringen ihn doch nicht um, oder, Papa?
    Nein. Wir bringen ihn nicht um.
    Er blickte auf den Jungen hinab. Der in seinen Jacketts zitterte. Er bückte sich und küsste ihn auf die schmutzige Stirn. Wir tun dem Hund nichts, sagte er. Versprochen.
     
    Sie schliefen unter einer Überführung in einem geparkten Wagen, die Jacketts und die Decke auf sich gehäuft. In der Dunkelheit und der Stille konnte er da und dort Lichtpünktchen auf dem Tarnnetz der Nacht erscheinen sehen. Die höheren Stockwerke der Gebäude waren allesamt dunkel. Man müsste Wasser

Weitere Kostenlose Bücher