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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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verkohltem Dachblech. In der Scheune ergatterten sie auf dem staubigen Boden eines Stahlblechsilos ein paar Handvoll irgendeines Getreides, das er nicht erkannte und das sie mitsamt dem Staub an Ort und Stelle aßen. Dann machten sie sich über die Felder auf den Weg zur Straße.
     
    Sie folgten einer Steinmauer, vorbei an den Überresten eines Obstgartens. Die Bäume in ihren ordentlichen Reihen verkrümmt und schwarz, der Boden dicht mit abgebrochenen Ästen bedeckt. Er blieb stehen und blickte über die Felder. Wind im Osten. Die weiche Asche in den Furchen bewegte sich, kam zum Stillstand, bewegte sich erneut. Er hatte das alles schon gesehen. Auf den Grasstoppeln Formen aus getrocknetem Blut und Eingeweideschlingen, wo man die Erschlagenen ausgeweidet und fortgeschleppt hatte. Die Mauer dahinter zierte ein Fries von Menschenköpfen, lauter gleiche Gesichter, vertrocknet und eingefallen, mit straffem Grinsen und tief eingesunkenen Augen. Sie trugen Goldringe in ihren Lederohren, und das schüttere, strähnige Haar auf ihren Schädeln flatterte im Wind. Die Zähne in ihren Höhlen wie Abgüsse, die primitiven Tätowierungen mit irgendeinem selbstgebrauten, im spärlichen Sonnenlicht verblassten Waid eingeritzt. Spinnen, Schwerter, Zielscheiben. Ein Drache. Runenhafte Slogans, falsch geschriebene Glaubenssätze. Alte Narben mit alten, an den Rändern eingestochenen Motiven. Den nicht völlig zertrümmerten Köpfen hatte man die Haut abgezogen, die nackten Schädel waren bemalt und auf der Stirn mit einem Krakel signiert, ein weißer Knochenschädel hatte sorgfältig mit Farbe nachgestochene Nähte, wie bei einer Bauanleitung. Er blickte zu dem Jungen zurück. Der stand neben dem Wagen im Wind. Er betrachtete das trockene, sich leicht bewegende Gras und die dunklen, verkrümmten Bäume in ihren Reihen. Ein paar an die Mauer gewehte Kleiderfetzen, alles grau von Asche. Er ging die Mauer entlang, kam zu einer letzten Inspektion an den Masken vorbei und gelangte durch einen Durchlass zu der Stelle, wo der Junge wartete. Er legte ihm den Arm um die Schultern. Okay, sagte er. Gehen wir.
     
    Inzwischen sah er in jeder derartigen Episode der jüngsten Ver- gangenheit eine Botschaft, eine Botschaft und eine Warnung, und als solche erwies sich auch das Tableau der Erschlagenen und Gefressenen. Als er am Morgen erwachte, sich, in die Decke gewickelt, umdrehte und zwischen den Bäumen hindurch die Straße entlang blickte, auf der sie gekommen waren, sah er die ersten Viererreihen der Marschierenden auftauchen. In Kleidern aller Art, jeder mit einem roten Halstuch. Rot oder Orange, Farben, die Rot möglichst nahekamen. Er legte dem Jungen die Hand auf den Kopf. Pst, sagte er.
    Was ist denn, Papa?
    Leute auf der Straße. Lass den Kopf unten. Sieh nicht hin.
    Kein Rauch von dem toten Feuer. Vom Wagen nichts zu sehen. Er schmiegte sich an den Boden, beobachtete sie über seinen Unterarm hinweg. Eine Armee in Tennisschuhen, mit schwerem Schritt. In den Händen einen Meter lange Stahlrohrstücke, mit Leder umwickelt. Kordeln an den Handgelenken. Durch manche Rohrstücke waren kurze Ketten gefädelt, an deren Enden alle Arten von Knütteln befestigt waren. In wiegendem Gang, wie Spielzeuge zum Aufziehen, klirrten sie vorbei. Bärtig, ihr Atem wie Rauch vor ihren Mundschutzen. Pst, sagte er. Pst. Die folgende Phalanx trug mit Bändern verzierte Speere oder Lanzen, die langen Spitzen in irgendeiner primitiven Schmiede im Landesinneren aus Lkw-Federn zurechtgehämmert. Der Junge barg völlig verängstigt das Gesicht in den Armen. Keine hundert Meter entfernt marschierten sie vorbei, sodass der Boden leicht bebte. Mit schwerem Schritt. Hinter ihnen kamen Karren, gezogen von angeschirrten Sklaven und hoch beladen mit Kriegsbeute, danach die Frauen, etwa ein Dutzend, einige davon schwanger, und zuletzt ein Reservekontingent von Lustknaben, für die Kälte zu dünn angezogen und um den Hals Hundehalsbänder, über die sie miteinander verbunden waren. Das Ganze zog vorüber. Sie lagen da und lauschten.
    Sind sie weg, Papa?
    Ja, sie sind weg.
    Hast du sie gesehen?
    Ja.
    Waren das die Bösen?
    Ja, das waren die Bösen.
    Gibt ganz schön viele von diesen Bösen.
    Ja. Aber jetzt sind sie weg.
    Sie standen auf, klopften sich die Kleider ab, lauschten der fernen Stille.
    Wo wollen die hin, Papa?
    Ich weiß nicht. Sie sind unterwegs. Das ist kein gutes Zeichen.
    Warum ist das kein gutes Zeichen?
    Es ist eben so. Wir müssen einen Blick auf die

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