Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
Vom Netzwerk:
an einer Kreuzung auf die Straße, und er legte die einzelnen Blätter der Karte auf den Boden und studierte sie. Er tippte mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle. Hier sind wir, sagte er. Genau hier. Der Junge sah nicht hin. Der Mann studierte das verschlungene Streckenmuster in Rot und Schwarz, den Finger auf die Kreuzung gelegt, wo er zu sein meinte. Als sähe er sie ganz klein dort kauern. Wir könnten zurückgehen, sagte der Junge leise. Es ist nicht so weit. Es ist nicht zu spät.
     
     
    In einem Waldstück nicht weit von der Straße entfernt fanden sie einen trockenen Lagerplatz. Es gab keine geschützte Stelle, an der sie ein Feuer hätten machen können, das nicht zu sehen gewesen wäre, also machten sie keines. Jeder von ihnen aß zwei Maismehlfladen, dann schliefen sie, in die Jacketts und Decken gehüllt, aneinandergeschmiegt auf dem Boden. Er hielt den Jungen in den Armen, und nach einer Weile hörte der Junge zu zittern auf und schlief etwas später ein.
     
    Der Hund, an den er sich erinnert, folgte uns zwei Tage lang. Ich versuchte erfolglos, ihn anzulocken. Ich machte eine Drahtschlinge, um ihn zu fangen. Im Revolver waren drei Patronen. Keine zu erübrigen. Sie entfernte sich die Straße hinunter. Der Junge schaute ihr nach, dann schaute er mich an und dann den Hund, und dann begann er zu weinen und um das Leben des Hundes zu bitten, und ich versprach, dem Hund nichts zu tun. Ein bloßes Skelett, über das sich die Haut spannte. Am nächsten Tag war er verschwunden. Das ist der Hund, an den er sich erinnert. An irgendwelche kleinen Jungen erinnert er sich nicht.
     
     
    Er hatte eine Handvoll Rosinen in ein Tuch eingeschlagen und in die Tasche gesteckt, und gegen Mittag setzten sie sich in das tote Gras am Straßenrand und aßen sie. Der Junge sah ihn an. Das ist alles, was noch da ist, stimmt̕s?, fragte er.
    Ja.
    Müssen wir jetzt sterben?
    Nein.
    Was machen wir jetzt?
    Wir trinken ein bisschen Wasser. Dann gehen wir weiter die Straße entlang.
    Okay.
     
    Am Abend stapften sie auf der Suche nach einer Stelle, an der ihr Feuer nicht zu sehen sein würde, über ein Feld. Zogen den Wagen hinter sich her über die Erde. So wenig Verheißungsvolles in diesem Land. Morgen würden sie etwas zu essen auftreiben. Die Nacht holte sie auf einer matschigen Straße ein. Sie bogen auf das Feld ab und trotteten einem fernen Gehölz entgegen, das sich hart und schwarz vor dem letzten Rest der sichtbaren Weh abzeichnete. Bis sie dort anlangten, war es finstere Nacht. Er hielt den Jungen bei der Hand, schob mit dem Fuß Zweige und Buschwerk zusammen und machte Feuer. Das Holz war feucht, aber er schälte mit seinem Mes-ser die tote Rinde ab und schichtete Buschwerk und Stöcke um das Feuer herum, damit sie in der Hitze trockneten. Dann breitete er die Plastikplane auf dem Boden aus, holte Jacken und Decken aus dem Wagen, zog sich und dem Jungen die feuchten, schlammverkrusteten Schuhe aus, und dann saßen sie da, die Hände zu den Flammen hingestreckt. Er überlegte, was er sagen könnte, aber ihm fiel nichts ein. Er hatte dieses Gefühl, das über die Benommenheit und dumpfe Verzweiflung hinausging, schon einmal gehabt. Dass die Welt auf einen rohen Kern nicht weiter zerlegbarer Begriffe zusammenschrumpfte. Dass die Namen der Dinge langsam den Dingen selbst in die Vergessenheit folgten. Farben. Die Namen von Vögeln. Dinge, die man essen konnte. Schließlich die Namen von Dingen, die man für wahr hielt. Zerbrechlicher, als er gedacht hätte. Wie viel war schon verschwunden? Das heilige Idiom wurde seiner Bezüge und damit seiner Wirklichkeit beraubt. Zog sich zusammen wie etwas, das Wärme zu halten versucht. Und irgendwann endgültig erlöschen wird.
     
    In ihrer Erschöpfung schliefen sie die Nacht durch, und am Morgen war das Feuer nur noch tote schwarze Asche. Er zog seine schlammverkrusteten Schuhe an und blies, während er Holz sammeln ging, auf seine gewölbten Hände. So kalt. Es könnte November sein. Oder auch später. Er zündete ein Feuer an und ging bis an den Rand des Waldstückes, wo er stehen blieb und auf die Landschaft hinausblickte. Die toten Felder. In der Ferne eine Scheune.
     
     
    Sie marschierten los, die ungepflasterte Straße entlang über einen Hügel, wo einmal ein Haus gestanden hatte. Es war vor langer Zeit abgebrannt. Im schwarzen Wasser des Kellers stand die verrostete Form eines Heizkessels. Eingedellt auf den Feldern, wo der Wind sie hingeweht hatte, Stücke von

Weitere Kostenlose Bücher