Die Straße
bei uns.
Gehen wir, sagte er.
Inzwischen üppige Träume, aus denen er nur widerwillig erwachte. Dinge, die aus der Welt verschwunden waren. Die Kälte trieb ihn an, das Feuer zu unterhalten. Eine Erinnerung daran, wie sie frühmorgens über den Rasen auf das Haus zugekommen war, in einem dünnen, rosenfarbenen Gewand, das ihre Brüste umschmiegte. Er dachte, dass jede ins Gedächtnis zurückgerufene Erinnerung ihren Ursprüngen Gewalt antat. Wie bei einem Partyspiel. Sag das Wort und gib es weiter. Also geize damit. Was du mit der Erinnerung änderst, besitzt schon eine Wirklichkeit, ob bewusst oder nicht.
In die schmutzigen Decken gehüllt, gingen sie durch die Straßen. Er hielt den Revolver auf Hüfthöhe und den Jungen bei der Hand. Am anderen Ende der Stadt stießen sie auf ein für sich stehendes Haus auf einer Wiese und gingen durch sämtliche Zimmer. Sie trafen auf sich selbst in einem Spiegel, und er hätte beinahe den Revolver gehoben. Das sind wir, Papa, flüsterte der Junge. Das sind wir.
Er stand in der Hintertür und blickte hinaus auf die Felder, die Straße dahinter und das öde Land jenseits der Straße. Auf der Terrasse stand ein Grill: ein mit dem Schweißbrenner der Länge nach aufgeschnittenes und auf ein schmiedeeisernes Gestell gesetztes 200-Liter-Metallfass. Im Garten ein paar tote Bäume. Ein Zaun. Ein Werkzeugschuppen aus Blech. Er schüttelte die Decke ab und legte sie dem Jungen um die Schultern.
Ich möchte, dass du hier wartest.
Ich will mitgehen.
Ich gehe nur eben da rüber und werfe einen Blick hinein.
Setz dich einfach da hin. Du wirst mich die ganze Zeit sehen können. Versprochen.
Den Revolver noch immer in der Hand, durchquerte er den Garten und stieß die Tür auf. Es handelte sich um so etwas wie einen Geräteschuppen. Gestampfter Boden. Metallregale, darauf ein paar Blumentöpfe aus Plastik. Alles mit Asche bedeckt. In der Ecke standen Gartengeräte. Ein Rasenmäher. Unter dem Fenster eine Holzbank, daneben ein Metallspind. Er öffnete den Spind. Alte Kataloge. Tütchen mit Samen. Begonie. Purpurwinde. Er steckte sie ein. Wozu? Auf dem obersten Bord standen zwei Dosen Motoröl, die er herunterholte und auf die Bank stellte, nachdem er den Revolver in den Gürtel gesteckt hatte. Sie waren sehr alt, bestanden aus Pappe mit Verschlüssen aus Metall. Stellenweise war das Öl durch die Pappe geschlagen, aber sie schienen noch voll zu sein. Er trat zurück und blickte zur Tür hinaus. In die Decken gehüllt, saß der Junge auf der Hintertreppe des Hauses und beobachtete ihn. Als er sich umdrehte, sah er in der Ecke hinter der Tür einen Benzinkanister. Er wusste, dass kein Benzin mehr darin sein konnte, doch als er ihn mit dem Fuß anstieß, hörte er ein leises Gluckern. Er trug den Kanister zu der Bank und versuchte erfolglos, den Deckel abzuschrauben. Er zog die Zange aus seiner Jackentasche, öffnete die Backen und setzte sie an. Sie passte knapp, er schraubte den Deckel ab, legte ihn auf die Bank und schnupperte. Gestank. Jahre alt. Aber es war Benzin und würde brennen. Er schraubte den Deckel wieder auf und steckte die Zange ein. Er schaute sich nach einem kleineren Behälter um, aber es war keiner zu finden. Er hätte die Flasche nicht wegwerfen sollen. Im Haus nachsehen.
Als er über das Gras ging, wurde ihm schwummrig, und er musste stehen bleiben. Er fragte sich, ob es daher kam, dass er an dem Benzin gerochen hatte. Der Junge beobachtete ihn. Wie viele Tage noch bis zum Tod? Zehn? Viel mehr jedenfalls nicht. Er konnte nicht denken. Warum war er stehen geblieben? Er drehte sich um und senkte den Blick auf das Gras. Er ging zurück. Mit prüfenden Schritten. Er blieb stehen und drehte sich erneut um. Dann ging er zum Schuppen zurück. Er kam mit einem Spaten wieder, dessen Blatt er an der Stelle, wo er gestanden hatte, in den Boden stieß. Es drang bis zur Hälfte ein und stoppte dann mit einem hohlen, hölzernen Geräusch ab. Er begann die Erde wegzuschaufeln.
Es ging langsam. Gott, war er müde. Er stützte sich auf den Spaten. Er hob den Kopf und sah den Jungen an. Der Junge saß da wie vorher. Er machte sich wieder an die Arbeit. Nicht lange, und er musste sich nach jedem Spatenstich ausruhen. Was er schließlich freilegte, war ein Stück Sperrholz, mit Dachpappe benagelt. Er schaufelte die Ränder frei. Es handelte sich um eine Klappe, etwa einen mal zwei Meter groß. An einem Ende befand sich ein Schließband mit einem Vor-hängeschloss,
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