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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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Straße. Na gut, sagte er. Aber morgen gehen wir dann weiter.
    Der Junge gab keine Antwort.
    Auf mehr lasse ich mich nicht ein.
    Okay.
    Okay heißt okay. Es heißt nicht, dass wir morgen eine neue Vereinbarung aushandeln.
    Was heißt aushandeln?
    Aushandeln heißt weiter darüber reden und irgendeine andere Vereinbarung treffen. Es gibt keine andere Vereinbarung. Dabei bleibt es.
    Okay.
    Okay.
    Sie halfen dem Alten auf und reichten ihm seinen Stock. Er wog keine fünfzig Kilo. Er stand da und blickte sich unsicher um. Der Mann nahm ihm die Dose aus der Hand und warf sie in den Wald. Der Alte versuchte, ihm den Stock zu geben, aber er schob ihn weg. Wann haben Sie zuletzt gegessen?
    Ich weiß nicht.
    Sie erinnern sich nicht.
    Ich habe gerade eben gegessen.
    Möchten Sie mit uns essen?
    Ich weiß nicht.
    Sie wissen es nicht?
    Was denn essen?
    Vielleicht Rinderragout. Mit Kräckern. Und Kaffee.
    Was muss ich dafür tun?
    Uns sagen, wohin die Welt verschwunden ist.
    Was?
    Sie müssen gar nichts tun. Können Sie einigermaßen gehen?
    Ich kann gehen.
    Er blickte auf den Jungen herab. Bist du ein kleiner Junge?, fragte er.
    Der Junge sah seinen Vater an.
    Wonach sieht er denn aus?, sagte sein Vater.
    Ich weiß nicht. Ich sehe nicht gut.
    Können Sie mich sehen?
    Ich kann erkennen, dass da jemand ist.
    Gut. Wir müssen gehen. Er sah den Jungen an. Lass seine Hand los, sagte er.
    Er kann nichts sehen.
    Lass seine Hand los. Gehen wir.
    Wo gehen wir hin?, fragte der Alte.
    Wir gehen etwas essen.
    Der Alte nickte, streckte die Hand mit dem Stock aus und klopfte damit vorsichtig auf die Straße.
    Wie alt sind Sie?
    Ich bin neunzig.
    Von wegen.
    Okay.
    Erzählen Sie das den Leuten?
    Welchen Leuten?
    Irgendwelchen Leuten.
    Glaub schon.
    Damit sie Ihnen nichts tun?
    Ja.
    Funktioniert das?
    Nein.
    Was haben Sie in Ihrem Rucksack?
    Nichts. Sie können nachsehen.
    Ich weiß, dass ich nachsehen kann. Was haben Sie da drin?
    Nichts. Bloß irgendwelchen Kram.
    Nichts zu essen?
    Nein.
    Wie heißen Sie?
    Ely.
    Und wie noch?
    Reicht Ely nicht?
    Doch. Gehen wir.
     
     
    Sie biwakierten im Wald, an einer Stelle, die nach seinem Dafürhalten viel zu nahe an der Straße lag. Er musste den Wagen ziehen, während der Junge von hinten lenkte. Sie machten ein Feuer, damit sich der Alte aufwärmen konnte, und auch das passte ihm nicht. Beim Essen saß der Alte, in seine einzige Decke gehüllt, auf der Erde und hielt den Löffel wie ein Kind. Sie hatten nur zwei Becher, und er trank seinen Kaffee aus der Schale, aus der er gegessen hatte, die Daumen über den Rand gehakt. Saß da wie ein ausgehungerter, zerlumpter Buddha und starrte in die Glut.
    Sie können nicht mit uns gehen, das wissen Sie, sagte der Mann.
    Der Alte nickte.
    Wie lange sind Sie schon unterwegs?
    Ich war immer unterwegs. Man kann nicht an einem Ort bleiben.
    Wovon leben Sie?
    Ich mache einfach immer weiter. Ich habe gewusst, dass das passieren würde.
    Sie haben gewusst, dass das passieren würde?
    Ja, das oder so was Ähnliches. Davon war ich immer überzeugt.
    Haben Sie versucht, sich darauf vorzubereiten?
    Nein. Wie würden Sie das denn anstellen?
    Ich weiß nicht.
    Die Leute haben sich ständig auf das Morgen vorbereitet. Das hat mir nie eingeleuchtet. Das Morgen hat sich doch auch nicht auf sie vorbereitet. Es hat ja gar nichts von ihnen gewusst.
    Wahrscheinlich haben Sie recht.
    Selbst wenn man wüsste, was man tun soll, würde man es nicht wissen. Man würde nicht wissen, ob man es tun will oder nicht. Angenommen, man wäre der Letzte, der übrig ist? Angenommen, man würde sich das wirklich antun?
    Wünschten Sie, Sie würden sterben?
    Nein. Aber vielleicht wünschte ich, ich wäre gestorben. Wenn man am Leben ist, hat man das immer vor sich.
    Vielleicht wünschten Sie ja auch, Sie wären nie geboren worden.
    Tja. Bettler und Borger dürfen nicht wählerisch sein.
    Sie meinen, das wäre zu viel verlangt?
    Was geschehen ist, ist geschehen. Außerdem ist es dumm, in Zeiten wie diesen Wohltaten zu verlangen.
    Da haben Sie vermutlich recht.
    Niemand will da sein, und niemand will abtreten. Er hob den Kopf und blickte über das Feuer hinweg auf den Jungen. Dann sah er den Mann an. Der Mann konnte die kleinen Augen sehen, die ihn im Feuerschein beobachteten. Der Himmel wusste, was diese Augen sahen. Er stand auf, um mehr Holz auf das Feuer zu häufen, und scharrte die Glut vom toten Laub weg. In einem Schauer stoben die roten Funken auf und erstarben in der Schwärze über ihnen.

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