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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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die Straße. Weißt du, wo wir sind, Papa?, fragte der Junge.
    So ungefähr.
    Und wo ist das?
    Tja. Ich glaube, wir sind ungefähr dreihundertfünfzig Kilometer von der Küste entfernt. Luftlinie.
    Luftlinie?
    Ja. Das bedeutet in gerader Linie.
    Sind wir bald dort?
    So bald nicht. Aber ziemlich bald. Wir sind nun mal nicht in Luftlinie unterwegs wie Vögel.
    Weil Vögel keinen Straßen folgen müssen?
    Ja.
    Sie können fliegen, wohin sie wollen.
    Ja.
    Glaubst du, es gibt vielleicht noch irgendwo Vögel?
    Das weiß ich nicht.
    Aber was glaubst du?
    Ich halte es für unwahrscheinlich.
    Könnten sie zum Mars oder sonstwohin fliegen?
    Nein, das könnten sie nicht.
    Weil es zu weit ist?
    Ja.
    Auch wenn sie wollten?
    Auch wenn sie wollten.
    Und wenn sie es probieren und die Hälfte der Strecke oder so schaffen würden und dann zu müde wären? Würden sie dann wieder herunterfallen?
    Tja, in Wirklichkeit könnten sie gar nicht die Hälfte der Strecke schaffen, weil sie dann im All wären, und im All gibt es keine Luft, also könnten sie nicht fliegen, und außerdem wäre es zu kalt, und sie würden erfrieren.
    Ach so.
    Und überhaupt würden sie gar nicht wissen, wo der Mars ist.
    Wissen wir denn, wo der Mars ist?
    So ungefähr.
    Wenn wir ein Raumschiff hätten, könnten wir dann hinfliegen?
    Tja, wenn man ein richtig gutes Raumschiff hätte und andere Leute einem helfen würden, könnte man das wohl schon.
    Gäbe es dort denn auch Essen und solche Sachen?
    Nein. Dort gibt es nichts.
    Ach so.
    So saßen sie lange Zeit. Sie saßen auf ihren gefalteten Decken und beobachteten die Straße in beiden Richtungen. Kein Wind. Nichts. Nach einer Weile sagte der Junge: Es gibt keine Vögel, stimmt̕s?
    Nein.
    Bloß in Büchern.
    Ja. Bloß in Büchern.
    Das hätte ich nicht gedacht.
    Bist du so weit?
    Ja.
    Sie standen auf und verstauten ihre Becher und die restlichen Kräcker. Der Mann legte die Decken oben auf den Wagen, zurrte die Plane fest, stand dann da und sah den Jungen an. Was ist denn?, fragte der Junge.
    Ich weiß, dass du geglaubt hast, wir würden sterben.
    Ja.
    Aber wir sind nicht gestorben.
    Nein.
    Okay.
    Darf ich dich was fragen? Klar.
    Wenn man ein Vogel wäre, könnte man dann so hoch fliegen, dass man die Sonne sieht?
    Ja.
    Das dachte ich mir. Das wäre wirklich toll.
    Ja, das wäre es. Bist du so weit? Ja.
    Er hielt inne. Was ist eigentlich aus deiner Flöte geworden?
    Die habe ich weggeworfen.
    Du hast sie weggeworfen??
    Ja.
    Okay.
    Okay.
     
     
    In der grauen Dämmerung überquerten sie einen Fluss, blieben stehen und schauten über das Betongeländer auf das träge, tote Wasser, das unten dahinzog. Flussabwärts auf den rußigen Dunst skizziert die Umrisse einer verbrannten Stadt, wie ein Fallvorhang aus schwarzem Papier. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit, als sie den schweren Wagen eine lange Steigung hinaufschoben, sahen sie sie wieder und machten halt, um auszuruhen. Er stellte den Wagen quer, damit er nicht wegrollte. Ihr Mundschutz war bereits grau und ihre Augen dunkel umrandet. Sie saßen am Straßenrand in der Asche und blickten nach Osten, wo sich die Konturen der Stadt in der hereinbrechenden Nacht verdunkelten. Sie sahen keine Lichter.
    Glaubst du, dort ist jemand, Papa?
    Ich weiß nicht.
    Wie bald können wir haltmachen?
    Jetzt gleich.
    Auf dem Hügel?
    Wir können den Wagen zu den Felsen dort hinunterschieben und mit Ästen tarnen.
    Ist das ein guter Platz zum Haltmachen?
    Na ja, die Leute machen nicht gern auf Hügeln halt. Und wir möchten nicht, dass Leute haltmachen.
    Also ist es ein guter Platz für uns.
    Ich glaube schon.
    Weil wir schlau sind.
    Na ja, wir wollen nicht zu schlau werden.
    Okay.
    Bist du so weit?
    Ja.
    Der Junge stand auf, holte seinen Besen und legte ihn sich über die Schulter. Er sah seinen Vater an. Was sind unsere langfristigen Ziele?
    Was?
    Unsere langfristigen Ziele.
    Wo hast du denn das her?
    Ich weiß nicht.
    Doch, wo hast du das her?
    Du hast das gesagt.
    Wann?
    Ist schon lange her.
    Und was war die Antwort?
    Ich weiß nicht.
    Tja. Ich auch nicht. Komm. Es wird dunkel.
    Spät am folgenden Tag, als sie um eine Kurve bogen, blieb der Junge plötzlich stehen und legte die Hand an den Wagen. Papa, flüsterte er. Der Mann blickte auf. Weit vor ihnen auf der Straße eine kleine Gestalt, gebeugt, mit schlurfendem Gang.
    Auf den Griff des Einkaufswagens gestützt, blieb er stehen. Tja, sagte er, wer ist das?
    Was sollen wir tun, Papa?
    Es könnte ein Lockvogel sein.
    Was

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