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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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Der Alte trank seinen Kaffee aus, stellte die Schale vor sich hin und beugte sich mit ausgestreckten Händen der Hitze entgegen. Der Mann beobachtete ihn. Woher würde man wissen, dass man der letzte Mensch auf der Erde ist?, fragte er.
    Man würde es wahrscheinlich gar nicht wissen. Man wäre es bloß.
    Keiner würde es wissen.
    Das würde keinen Unterschied machen. Wenn man stirbt, ist das genauso, wie wenn auch alle anderen sterben.
    Gott würde es wahrscheinlich wissen. Ist es das?
    Es gibt keinen Gott.
    Nein?
    Es gibt keinen Gott, und wir sind seine Propheten.
    Ich verstehe nicht, wieso Sie noch am Leben sind. Wovon ernähren Sie sich?
    Ich weiß nicht.
    Das wissen Sie nicht?
    Die Leute geben einem was.
    Die Leute geben einem was.
    Ja.
    Was zu essen.
    Zu essen. Ja.
    Von wegen.
    Sie haben es doch auch getan.
    Nein, habe ich nicht. Das war der Junge.
    Auf der Straße gibt es noch andere Leute. Ihr seid nicht die Einzigen.
    Sind Sie der Einzige?
    Der Alte beäugte ihn wachsam. Wie meinen Sie das?, fragte er.
    Gehören Sie zu irgendwelchen Leuten?
    Was für Leute?
    Irgendwelche Leute.
    Es gibt keine Leute, Wovon reden Sie eigentlich?
    Ich rede von Ihnen, Davon, als was Sie sich möglicherweise betätigen.
    Der Alte gab keine Antwort.
    Ich vermute, Sie wollen mit uns gehen.
    Mit euch gehen?
    Ja.
    Ihr nehmt mich doch gar nicht mit.
    Sie wollen also nicht.
    Ich wäre nicht mal bis hierher mitgekommen, aber ich hatte Hunger.
    Die Leute, die Ihnen zu essen gegeben haben. Wo sind die?
    Es gibt keine Leute. Das habe ich erfunden.
    Was haben Sie noch erfunden?
    Ich bin einfach nur unterwegs, genau wie ihr. Da gibt es keinen Unterschied.
    Heißen Sie wirklich Ely?
    Nein.
    Sie wollen Ihren Namen nicht sagen?
    Nein, will ich nicht.
    Wieso?
    Ich traue Ihnen damit nicht. Dass Sie ihn für sich behalten. Ich will nicht, dass irgendwer über mich redet. Sagt, wo ich war oder was ich an dem betreffenden Ort gesagt habe. Sie könnten ja vielleicht über mich reden. Aber niemand könnte sagen, dass ich das war. Ich könnte sonstwer sein. Ich finde, in Zeiten wie diesen wird am besten so wenig wie möglich gesagt. Wenn was passiert wäre und wir wären Überlebende und hätten uns unterwegs kennengelernt, dann hätten wir etwas, worüber wir reden könnten. Aber das ist nicht der Fall. Also lassen wir̕s.
    Ja, vielleicht.
    Sie wollen es vor dem Jungen bloß nicht zugeben.
    Und Sie sind nicht der Lockvogel für eine Bande von Wegelagerern?
    Ich bin gar nichts. Ich gehe, wenn Sie wollen. Die Straße finde ich allein.
    Sie müssen nicht gehen.
    Ich habe schon lange kein Feuer mehr gesehen, das ist alles. Ich lebe wie ein Tier. Fragen Sie lieber nicht, was ich so alles esse. Als ich den Jungen gesehen habe, habe ich gedacht, ich wäre gestorben.
    Sie haben geglaubt, er wäre ein Engel?
    Ich wusste nicht, was er war. Ich hätte nie gedacht, dass ich nochmal ein Kind zu Gesicht bekomme. Ich wusste nicht, dass das passieren würde.
    Und wenn ich nun sage, er ist ein Gott?
    Der Alte schüttelte den Kopf. Über so was bin ich hinaus. Schon seit Jahren. Wo keine Menschen leben können, ergeht es Göttern nicht besser. Das werden Sie schon noch sehen. Es ist besser, allein zu sein. Deshalb hoffe ich, es stimmt nicht, was Sie sagen, denn mit dem letzten Gott unterwegs zu sein wäre schrecklich, deshalb hoffe ich, es stimmt nicht. Wenn alle weg sind, wird alles besser.
    Ach ja?
    Na sicher.
    Aber für wen?
    Für alle.
    Für alle.
    Na sicher. Wir werden alle besser dran sein. Werden alle leichter atmen.
    Das ist ja schön zu wissen.
    Ist es auch. Wenn wir alle endlich weg sind, wird niemand mehr da sein außer dem Tod, und dessen Tage sind dann auch gezählt. Dann steht er da draußen auf der Straße, hat nichts zu tun und niemanden mehr, den er holen kann. Wo sind denn alle hin?, wird er sagen. Genau so wird das dann sein. Was ist dagegen einzuwenden?
     
    Am Morgen standen sie auf der Straße, und er und der Junge stritten darüber, was sie dem Alten geben sollten. Am Ende bekam er nicht viel. Ein paar Dosen Gemüse und Obst. Schließlich trat der Junge einfach an den Straßenrand und setzte sich in die Asche. Der Alte verstaute die Dosen in seinem Rucksack und schnallte die Riemen fest. Eigentlich müssten Sie sich bei ihm bedanken, sagte der Mann. Ich hätte Ihnen nichts gegeben.
    Vielleicht müsste ich das, vielleicht aber auch nicht.
    Wieso nicht?
    Von mir hätte er auch nichts gekriegt.
    Dass Sie ihn kränken, ist Ihnen egal?
    Kränkt ihn das

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