Die Straße
denn?
Nein. Deswegen hat er es nicht getan.
Warum denn dann?
Der Blick des Mannes ging hinüber zu dem Jungen und wieder zurück zu dem Alten. Sie würden es ja doch nicht verstehen, sagte er. Ich weiß nicht mal genau, ob ich es verstehe.
Vielleicht glaubt er an Gott.
Ich weiß nicht, woran er glaubt.
Er wird schon darüber hinwegkommen.
Nein.
Der Alte gab keine Antwort. Er blickte sich um.
Glück wünschen Sie uns wohl auch nicht, oder?, fragte der Mann.
Ich weiß gar nicht, wozu das gut sein sollte. Wie Glück überhaupt aussieht. Wer würde so was überhaupt erkennen?
Sie gingen weiter. Als er zurückblickte, hatte der Alte sich mit seinem Stock in Bewegung gesetzt und wurde, während er sich damit seinen Weg ertastete, auf der Straße hinter ihnen immer kleiner, wie ein Hausierer in einem Märchenbuch aus alter Zeit, dunkel, gebeugt und spinnendürr, um bald für immer zu verschwinden. Der Junge blickte nicht zurück.
Am frühen Nachmittag breiteten sie ihre Plane auf der Straße aus und aßen kalt zu Mittag. Der Mann beobachtete ihn. Redest du mit mir?, fragte er.
Ja.
Aber froh bist du nicht.
Ich bin okay.
Wenn wir nichts mehr zu essen haben, wirst du mehr Zeit haben, darüber nachzudenken.
Der Junge gab keine Antwort. Sie aßen. Er schaute in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach einer Weile sagte er: Ich weiß. Aber ich werde es anders in Erinnerung behalten als du.
Wahrscheinlich.
Ich habe nicht gesagt, dass du unrecht hast.
Auch wenn du es gedacht hast.
Schon okay.
Ja, sagte der Mann. Tja. Auf der Straße gibt es nicht viel Erfreuliches. In Zeiten wie diesen.
Du solltest dich nicht über ihn lustig machen.
Okay.
Er wird sterben.
Ich weiß.
Können wir jetzt weitergehen?
Ja, sagte der Mann. Wir können weitergehen.
Im kalten Dunkel der Nacht wachte er hustend auf, und er hustete, bis seine Brust schmerzte. Er beugte sich zum Feuer hin, blies in die Glut, legte Holz nach, stand auf und entfernte sich so weit vom Lagerplatz, wie das Licht es ihm erlaubte. Die Decke um die Schultern gelegt, kniete er in trockenem Laub und Asche, und nach einer Weile ließ der Husten nach. Er dachte an den Alten, der jetzt irgendwo da draußen war. Zwischen dem schwarzen Pfahlwerk der Bäume hindurch blickte er zum Lagerplatz zurück. Er hoffte, der Junge war wieder eingeschlafen. Die Hände auf den Knien, verharrte er leise ächzend. Ich werde sterben, sagte er. Verrate mir, wie ich das machen soll.
Am folgenden Tag marschierten sie, bis es fast dunkel war. Er fand keinen sicheren Platz, an dem sie ein Feuer hätten machen können. Als er die Gasflasche vom Wagen hob, kam sie ihm leicht vor. Er setzte sich und drehte am Ventil, das jedoch schon geöffnet war. Er drehte den kleinen Knopf am Brenner. Nichts. Er beugte sich vor und lauschte. Erneut betätigte er beide Ventile einzeln und zusammen. Die Flasche war leer. Mit geschlossenen Augen, beide Hände vor der Stirn zu einer einzigen Faust verschränkt, hockte er auf dem Boden. Nach einer Weile hob er den Kopf, saß einfach nur da und starrte in den kalten, sich verdunkelnden Wald.
Ihr kaltes Abendessen bestand aus Maisbrot, Bohnen und Würstchen aus der Dose. Der Junge fragte ihn, wieso die Flasche so schnell leer geworden sei, und er antwortete, es sei eben so.
Du hast gesagt, sie würde wochenlang reichen.
Ich weiß.
Aber es sind erst ein paar Tage vorbei.
Ich habe mich eben geirrt.
Sie aßen stumm. Nach einer Weile sagte der Junge: Ich habe vergessen, das Ventil zuzudrehen, stimmt̕s?
Es ist nicht deine Schuld. Ich hätte das überprüfen müssen.
Der Junge stellte seinen Teller auf die Plane. Er wandte den Blick ab.
Es ist nicht deine Schuld. Man muss beide Ventile zudrehen. Eigentlich hätte man die Leitungen mit Teflonband abkleben müssen, damit kein Gas austritt, und das habe ich nicht getan. Es ist meine Schuld. Ich habe dir das nicht gesagt.
Es gab doch gar kein Teflonband, oder?
Es ist nicht deine Schuld.
Sie stapften weiter, abgemagert und verdreckt wie Süchtige von der Straße. Gegen die Kälte bis über den Kopf in ihre Decken gehüllt, ihren Atem wie Rauch vor dem Mund, schlurften sie durch die seidig schwarzen Verwehungen. Sie überquerten die breite Küstenebene, wo der ewige Wind sie mit heulenden Aschewolken zwang, Deckung zu suchen, wo immer sie konnten. In Häusern oder Scheunen oder an der Böschung eines Straßengrabens, die Decken über die Köpfe gezogen, der Mittagshimmel schwarz wie
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