Die Straße
zu flüchten, stimmt̕s, Papa?
Ja.
Warum sind sie nicht von der Straße runter?
Das konnten sie nicht. Alles hat gebrannt.
Sie suchten sich einen Weg zwischen den mumifizierten Gestalten hindurch. Die schwarze, straff über die Knochen gespannte Haut, die Gesichter aufgeplatzt und an den Schädeln verschrumpelt. Wie Opfer einer entsetzlichen Vakuumierung. Sie passierten sie schweigend, den stillen Korridor durch die wehende Asche entlang, wo sie sich im kalten Koagulat der Straße für immer abmühten.
Sie kamen durch einen vollständig niedergebrannten Weiler an der Straße. Ein paar Lagerbehälter aus Metall, ein paar stehengebliebene Kaminschächte aus geschwärztem Ziegelstein. In den Gräben standen graue Schlackepfützen aus geschmolzenem Glas, und über Kilometer lagen die blanken Stromleitungen in rostenden Strängen am Straßenrand. Er hustete bei jedem Schritt. Er sah, dass der Junge ihn beobachtete. Er war das, woran der Junge dachte. Wozu er auch allen Grund hatte.
Sie saßen auf der Straße und aßen übriggebliebenes Fladenbrot, das hart wie Keks war, und ihre letzte Dose Thunfisch. Er öffnete eine Dose Pflaumen, die sie zwischen sich hin- und hergehen ließen. Der Junge hob die Dose, trank den letzten Rest Saft, fuhr dann, die Dose im Schoß, mit dem Zeigefinger an der Innenseite entlang und leckte ihn ab.
Schneid dich nicht in den Finger, sagte der Mann.
Das sagst du immer.
Ich weiß.
Er sah dem Jungen zu, wie er den Dosendeckel ableckte. Ganz sorgfältig. Wie eine Katze, die ihr Spiegelbild in einem Glas ableckt. Hör auf, mich zu beobachten, sagte er.
Okay.
Der Junge bog den Deckel der Dose herunter und stellte sie vor ihn auf die Straße. Was ist?, fragte er. Was ist los?
Nichts.
Sag es mir.
Ich glaube, uns folgt jemand.
Das habe ich mir schon gedacht.
Das hast du dir schon gedacht?
Ja. Ich habe mir schon gedacht, dass du das sagen würdest. Was willst du machen?
Ich weiß nicht.
Was denkst du?
Gehen wir einfach weiter. Wir sollten unseren Abfall verstecken.
Weil sie sonst denken, wir haben viel zu essen.
Ja.
Und versuchen werden, uns umzubringen.
Sie werden uns nicht umbringen.
Aber vielleicht versuchen sie es.
Uns passiert schon nichts.
Okay.
Ich finde, wir sollten uns in die Büsche schlagen und auf sie warten. Mal sehen, wer sie sind.
Und wie viele.
Und wie viele. )a.
Okay.
Wenn wir über den Bach kommen, könnten wir auf die Felsen dort steigen und die Straße beobachten.
Okay.
Wir finden schon eine passende Stelle.
Sie standen auf und stapelten ihre Decken im Wagen. Hol die Dose, sagte der Mann.
Die lange Dämmerung hatte längst eingesetzt, ehe die Straße den Bach überquerte. Sie trotteten über die Brücke und schoben den Wagen in den Wald hinein, um eine Stelle zu finden, wo sie ihn lassen konnten, ohne dass er gesehen wurde. Sie blieben stehen und schauten im Dämmerlicht zurück zur Straße.
Und wenn wir ihn unter die Brücke stellen?, fragte der Junge.
Und wenn sie runtergehen, um Wasser zu holen?
Was meinst du, wie weit hinter uns sie sind?
Ich weiß nicht.
Es wird dunkel.
Ich weiß.
Und wenn sie im Dunkeln an uns vorbeikommen?
Suchen wir uns einfach eine Stelle, von wo wir Ausschau halten können. Noch ist es nicht dunkel.
Sie versteckten den Wagen, stiegen, ihre Decken unter dem Arm, zwischen den Felsblöcken den Hang hinauf und bezo-gen an einer Stelle Posten, wo sie zwischen den Bäumen hindurch knapp einen Kilometer weit die Straße entlangsehen konnten. Sie waren vor dem Wind geschützt, wickelten sich in ihre Decken und hielten abwechselnd Ausschau, doch nach einer Weile schlief der Junge ein. Der Mann war selbst am Einschlafen, als er auf der Kuppe plötzlich eine Gestalt auftauchen und stehen bleiben sah. Gleich darauf tauchten zwei weitere auf. Dann eine vierte. Sie formierten sich zu einer Gruppe. Dann näherten sie sich. In der tiefen Dämmerung konnte er sie gerade noch ausmachen. Er dachte, sie würden womöglich bald haltmachen, und wünschte, er hätte einen Platz gesucht, der weiter von der Straße entfernt lag. Wenn sie an der Brücke haltmachten, würde es eine lange, kalte Nacht werden. Sie kamen die Straße entlang und gingen über die Brücke. Drei Männer und eine Frau. Die Frau hatte einen wat-schelnden Gang, und als sie näher kam, konnte er erkennen, dass sie schwanger war. Die Männer trugen Rucksäcke, die Frau eine kleine Stoffreisetasche. Alle vier unbeschreibliche
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