Die Straße
würden, und die Städte selbst beherrscht von Banden rußgeschwärzter Plünderer, die sich zwischen den Ruinen hindurchwühlten und, weiß von Zahn und Auge, aus dem Schutt gekrochen kamen, in den Händen Nylonnetze mit verkohlten, unbestimmbaren Konservendosen, wie Einkaufende in den Läden der Hölle. Der weiche schwarze Puder wehte durch die Straße wie die sich wölkende Tinte eines Kalmars am Meeresboden, die Kälte kroch herab, die Dunkelheit brach früh herein, und die Aasfresser, die mit ihren Fackeln durch die steilen Canyons schnürten, traten seidenweiche Löcher in die Ascheverwehungen, die sich still wie Augen hinter ihnen schlössen. Draußen auf den Straßen sanken die Pilger zu Boden oder stürzten hin und starben, und die Öde, verhüllte Erde trudelte ebenso spurlos und unvermerkt an der Sonne vorbei und wieder zurück wie irgendeine namenlose Schwesterwelt auf ihrer Bahn in der alten Dunkelheit dahinter.
Lange bevor sie die Küste erreichten, waren ihre Vorräte nahezu aufgebraucht. Das Land war schon vor Jahren ausgeraubt und geplündert worden, und in den Häusern und Gebäuden am Straßenrand gab es nichts. In einer Tankstelle fand er ein Telefonbuch und schrieb mit einem Bleistift den Namen der Stadt auf ihre Karte. Sie saßen vor dem Gebäude auf dem Bordstein, aßen Kräcker und suchten die Stadt, konnten sie aber nicht finden. Er suchte noch einmal auf sämtlichen Kartenteilen. Schließlich zeigte er es dem Jungen. Sie befanden sich ungefähr achtzig Kilometer westlich von dem Ort, an dem er sie vermutet hatte. Er zeichnete Strichmännchen auf die Karte. Das sind wir, sagte er. Der Junge zog mit dem Finger die Strecke bis zum Meer nach. Wie lange werden wir bis dorthin brauchen?, fragte er.
Zwei Wochen. Drei.
Ist es blau?
Das Meer? Ich weiß nicht. Früher war̕s das jedenfalls.
Der Junge nickte. Er saß da und betrachtete die Karte. Der Mann sah ihm dabei zu. Er meinte zu wissen, worum es dem Jungen dabei ging. Auch er hatte als Kind über Karten gebrütet, einen Finger immer auf der Stadt, in der er wohnte. So wie er auch seine Familie im Telefonbuch nachgeschlagen hatte. Sie selbst unter anderen, alles an seinem Platz. Als Existenzen gerechtfertigt. Na komm, sagte er. Wir sollten gehen.
Am Spätnachmittag begann es zu regnen. Sie waren von der Straße auf eine ungepflasterte Zufahrt durch ein Feld abgebogen und verbrachten die Nacht in einem Schuppen. Der Schuppen hatte einen Betonboden, und am hinteren Ende standen ein paar leere Stahltonnen. Damit blockierte er die Tür, machte auf dem Boden ein Feuer und improvisierte aus ein paar flachgedrückten Kartons zwei Schlafstellen. Der Regen trommelte die ganze Nacht auf das Blechdach. Als er aufwachte, war das Feuer niedergebrannt, und es war sehr kalt. Der Junge hatte sich, in seine Decke gehüllt, aufgesetzt.
Was ist denn?
Nichts. Ich hatte einen schlimmen Traum.
Wovon hast du denn geträumt?
Von nichts.
Bist du okay?
Nein.
Er legte die Arme um ihn und hielt ihn fest. Es ist okay, sagte er.
Ich habe geweint. Aber du bist nicht aufgewacht.
Tut mir leid. Ich war einfach todmüde.
Nein, ich meine in dem Traum.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte es aufgehört zu regnen. Er lauschte dem trägen Tropfen des Wassers. Er wälzte sich auf dem harten Beton zur Seite und schaute zwischen den Brettern hindurch auf das graue Land. Der Junge schlief noch. Wasser tropfte auf den Boden und bildete Pfützen. Kleine Bläschen erschienen und verschwanden nach kurzem Dahingleiten wieder. In einer Stadt am Fuße des Gebirges hatten sie auch an einem solchen Ort geschlafen und dem Regen gelauscht. Dort hatte es einen altmodischen Drugstore gegeben, mit schwarzer Marmortheke und Hockern mit Chromgestell und ramponierter, mit Isolierband geflickter Sitzfläche. Die Apotheke war geplündert, der Laden selbst aber merkwürdigerweise intakt. Teure elektronische Geräte standen unver-sehrt in den Regalen. Er stand da und betrachtete alles. Gemischtwaren. Kurzwaren. Was ist das? Er nahm den Jungen bei der Hand und führte ihn hinaus, doch der Junge hatte es bereits gesehen. Ein Menschenkopf unter einer Kuchenglocke am Ende des Tresens. Ausgedörrt. Mit einer Schirmmütze. Vertrocknete, traurig nach innen gerichtete Augen. Träumte er das? Nein. Er stand auf, kniete sich vor die Glut, blies hinein, schob die angebrannten Bretterstücke darauf und brachte das Feuer in Gang.
Es gibt noch andere Gute. Das hast du selbst
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