Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
Vom Netzwerk:
Jammergestalten. Ihr Atem leise dampfend. Sie gingen über die Brücke, marschierten weiter die Straße entlang und verschwanden einer nach dem anderen in der wartenden Dunkelheit.
     
     
    Es wurde ohnehin eine lange Nacht. Als es so hell war, dass er etwas sehen konnte, zog er seine Schuhe an, stand auf, hüllte sich in eine der Decken und ging zum Felsenrand, von wo aus er auf die Straße darunter schaute. Der kahle eisengraue Wald und die Felder dahinter. Noch immer schwach sichtbar das Wellenmuster alter Eggenfurchen. Baumwolle vielleicht. Der Junge schlief, und der Mann ging zum Wagen hinunter, holte die Landkarte, die Wasserflasche und eine Dose Obst aus ihren schmalen Vorräten, kam zurück und studierte, in Decken gewickelt, die Karte.
     
    Du denkst immer, wir sind schon weiter, als wir in Wirklichkeit sind.
    Er bewegte den Finger. Dann also hier.
    Weiter.
    Hier.
    Okay.
    Er faltete die schlaffen, verrottenden Seiten zusammen. Okay, sagte er.
     
     
     
    Glaubst du, deine Vorväter sehen dir zu? Wägen dich in ihrem Hauptbuch? Wogegen? Es gibt kein Buch, und deine Vorväter liegen tot in der Erde.
     
     
    Der Baumbewuchs ging von Kiefern zu immergrünen Eichen und Kiefern über. Magnolien. So tot wie alle anderen Bäume auch. Er hob eines der schweren Blätter auf, zerrieb es in der Hand zu Pulver und ließ das Pulver durch die Finger rieseln.
     
     
    Am folgenden Tag schon früh unterwegs. Sie waren noch nicht weit gekommen, da zog ihn der Junge am Ärmel, und sie blieben stehen. Aus dem Wald vor ihnen stieg ein dünner Rauchfaden auf. Sie standen da und beobachteten ihn.
    Was sollen wir tun, Papa?
    Vielleicht mal nachsehen.
    Gehen wir einfach weiter.
    Und wenn sie denselben Weg nehmen wie wir?
    Na und?, sagte der Junge.
    Dann haben wir sie hinter uns. Ich wüsste gern, wer das ist.
    Und wenn es eine Armee ist?
    Es ist bloß ein kleines Feuer.
    Warum warten wir nicht einfach?
    Wir können nicht warten. Wir haben fast nichts mehr zu essen. Wir müssen weitergehen.
     
    Sie ließen den Wagen im Wald stehen, und er überprüfte die Patronen in den Kammern der Revolvertrommel. Die hölzernen und die echte. Sie lauschten. Der Rauch stand senk-recht in der stillen Luft. Keinerlei Geräusch. Auf dem von den jüngsten Regenfällen weichen Laub waren ihre Schritte lautlos. Er drehte sich um und sah den Jungen an. Das kleine schmutzige Gesicht mit angstvoll geweiteten Augen. In einiger Entfernung schlugen sie einen Kreis um das Feuer, der Junge an seine Hand geklammert. Er ging in die Hocke, legte den Arm um ihn, und sie lauschten lange. Ich glaube, sie sind weg, flüsterte er.
    Was?
    Ich glaube, sie sind weg. Wahrscheinlich hat einer Schmiere gestanden.
    Es könnte eine Falle sein, Papa.
    Okay. Warten wir eine Weile.
    Sie warteten. Zwischen den Bäumen hindurch konnten sie den Rauch sehen. Aufkommender Wind strich über die Hügelspitze, der Rauch drehte, und sie konnten ihn riechen. Außerdem rochen sie Gebratenes. Schlagen wir einen Kreis, sagte der Mann.
    Kann ich dich bei der Hand halten?
    Ja. Natürlich.
    Der Wald bestand nur aus verbrannten Stämmen. Es war nichts zu sehen. Ich glaube, sie haben uns gesehen, sagte der Mann. Ich glaube, sie haben uns gesehen und sind abgehauen. Sie haben gesehen, dass wir einen Revolver haben. Sie haben ihr Essen zurückgelassen.
    Ja.
    Sehen wir̕s uns mal an.
    Ich habe richtig Angst, Papa.
    Da ist niemand. Keine Sorge.
     
     
    Sie traten auf die kleine Lichtung, der Junge an seine Hand geklammert. Bis auf das schwarze Ding, das über der Glut auf einem Spieß steckte, hatten die Leute alles mitgenommen. Er stand da und schaute prüfend in die Runde, als der Junge sich zu ihm umdrehte und das Gesicht an seinem Körper vergrub. Mit raschem Blick versuchte er festzustellen, was passiert war. Was ist denn?, fragte er. Was ist denn? Der Junge schüttelte den Kopf. O Papa, sagte er. Der Mann sah genauer hin. Was der Junge gesehen hatte, war der verkohlte Leib eines Kleinkindes, ohne Kopf, ausgeweidet und auf dem Spieß langsam schwärzer werdend. Er bückte sich, nahm den Jungen auf den Arm und lief, während er ihn fest an sich drückte, in Richtung Straße los. Es tut mir leid, flüsterte er. Es tut mir leid.
     
     
    Er wusste nicht, ob der Junge je wieder etwas sagen würde. Sie kampierten an einem Fluss, und er saß am Feuer und lauschte dem im Dunkeln fließenden Wasser. Es war kein sicherer Ort, da das Geräusch des Flusses jedes andere übertönte, aber er glaubte, dass

Weitere Kostenlose Bücher