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Die Straße

Die Straße

Titel: Die Straße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cormac McCarthy
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möglicherweise von Rindern. Grauer Salzreif auf den Felsen. Der Wind wehte, trockene Samenkapseln huschten über den Sand, verhielten und huschten weiter.
     
    Meinst du, es gibt da draußen vielleicht Schiffe?
    Das glaube ich nicht.
    Weit sehen könnten sie nicht.
    Nein.
    Was ist auf der anderen Seite?
    Nichts.
    Irgendwas muss doch dort sein.
    Vielleicht gibt es dort einen Vater und seinen kleinen Sohn, und sie sitzen am Strand.
    Das wäre okay.
    Ja. Das wäre okay.
    Und es könnte sein, dass sie auch das Feuer bewahren?
    Das könnte sein. Ja.
    Aber wir wissen es nicht.
    Wir wissen es nicht.
    Und deshalb müssen wir wachsam sein.
    Wir müssen wachsam sein. Ja.
    Wie lange können wir hierbleiben?
    Ich weiß nicht. Wir haben nicht mehr viel zu essen.
    Ich weiß.
    Dir gefällt es hier.
    Ja.
    Mir auch.
    Darf ich schwimmen gehen?
    Schwimmen?
    Ja.
    Du frierst dir sonstwas ab.
    Ich weiß.
    Es ist bestimmt richtig kalt. Schlimmer, als du denkst.
    Das ist schon okay.
    Ich möchte dich nicht rausholen müssen.
    Du findest, ich soll es lassen.
    Nein, mach ruhig.
    Aber du findest, ich soll es lassen.
    Nein. Ich finde, du sollst es tun.
    Wirklich?
    Ja. Wirklich.
    Okay.
     
     
     
    Er stand auf, ließ die Decke in den Sand fallen und zog sich Jacke, Schuhe und Kleider aus. Die Arme um sich geschlagen, hüpfte er nackt auf der Stelle. Dann rannte er den Strand hinunter. So weiß. Die Knubbel seiner Wirbelsäule. Scharfkantige, unter der blassen Haut arbeitetende Schulterblätter. Nackt rannte er los und stürzte sich schreiend in die träge rollende Brandung.
     
     
    Als er herauskam, war er blau vor Kälte, und seine Zähne klapperten. Der Mann ging ihm entgegen, hüllte den Zitternden in eine Decke und drückte ihn an sich, bis er zu keuchen aufhörte. Doch als er den Jungen ansah, weinte dieser. Was ist denn?, fragte er. Nichts. Nein, sag es mir. Nichts. Es ist nichts.
     
    Bei Einbruch der Dunkelheit machten sie an dem Baumstamm ein Feuer, aßen Okra, Bohnen und die letzten eingemachten Kartoffeln. Obst hatten sie längst keines mehr. Sie tranken Tee, saßen am Feuer, schliefen im Sand und lauschten dem Rollen der Brandung in der Bucht. Ihrem langsamen Aufrauschen und Anprallen. Nachts stand er auf und ging, in seine Decken gehüllt, bis zur Wasserlinie. Zu schwarz, um etwas zu sehen. Salzgeschmack auf den Lippen. Warten. Warten. Dann ufer-abwärts das langsam dröhnende Anbranden. Das brodelnde Zischen, mit dem es über den Strand spülte und sich wieder zurückzog. Er dachte, dass es dort draußen noch Totenschiffe geben könnte, die mit herabhängenden Segelfetzen dahintrie-ben. Oder Leben in der Tiefe. Große Tintenfische, die sich in der kalten Dunkelheit über den Meeresboden fortbewegten. Hin- und herjagten wie Züge, mit tellergroßen Augen. Und vielleicht gingen jenseits dieses umschleierten An- und Ab-schwellens ja tatsächlich ein anderer Mann und ein anderes Kind über den toten grauen Sand. Schliefen nur ein Meer entfernt auf einem anderen Strand in der bitteren Asche der Welt oder standen in ihren Lumpen da, für dieselbe gleichgültige Sonne verloren.
     
    Er erinnerte sich, wie er in einer solchen Nacht einmal vom Getrappel von Krabben in der Pfanne, in der er am Abend zuvor Steakknochen zurückgelassen hatte, aufgewacht war. Im auflandigen Wind das Pulsieren der schwachen, tiefroten Glut des Treibholzfeuers. Er lag unter einer Myriade von Sternen. Der schwarze Horizont des Meeres. Er stand auf, ging los, stand barfuß im Sand und sah zu, wie das ganze Ufer entlang die fahle Brandung erschien, schäumend anprallte und sich wieder verdunkelte. Zum Feuer zurückgekehrt, kniete er nieder, strich ihr das Haar glatt, während sie schlief, und sagte, wenn er Gott wäre, hätte er die Welt genau so und nicht anders eingerichtet.
     
    Als er zurückkam, war der Junge wach und hatte Angst. Er  hatte gerufen, aber nicht laut genug, als dass der Mann ihn  hätte hören können. Er legte die Arme um ihn. Ich habe dich nicht gehört, sagte er. Wegen der Brandung. Er legte Holz nach und fachte das Feuer an, dann sahen sie, in ihre Decken gehüllt, zu, wie sich die Flammen im Wind hin und her warfen, und etwas später schliefen sie.
     
     
     
     
     
    Am Morgen brachte er das Feuer wieder in Gang, sie aßen und betrachteten das Ufer. So kalt und regnerisch, wie es anmutete, unterschied es sich nicht sehr von Meereslandschaften der nördlichen Welt. Keine Möwen oder sonstigen Seevögel. Die Uferlinie entlang verstreut

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