Die Strudlhofstiege
das Anspruchsvoll ste war, während alles zusammen durchfädelt wurde von einer nicht abreißenden Kette der Taxis, die vor der Abfahrtsseite des recht modesten und veralteten Bahngebäudes anrollten oder hinter dessen Ankunftsseite hervorkamen – Mary stand am Ufer und der ihr um den Hals gefallene Sommertag hatte sie nicht so sehr entzückt als vielmehr etwas verdutzt und sozusagen mißtrauisch gemacht. Sie stand am Rande des hier boulevardartig breiten Trottoirs, sie stand hier wie jemand am Rand eines Schwimmbassins steht, der heute eigentlich zum sonst gewohnten Kopfsprung keine Lust verspürt.
Die Haltestelle der Straßenbahn, bei welcher sie nach Nußdorf einzusteigen gehabt hätte, war damals nur durch Überqueren des Platzes zu erreichen, noch dazu etwa diagonal, nach links, wo in der Mitte eine Verkehrs-Insel Rast und Sicherheit bot. Eben war ein aus zwei Waggons bestehender Zug dort herumgekommen, bog aber jetzt mit breiter roter Stirnseite und einem kurzen bellenden Klingeln – das unzweifelhaft der Frau Mary galt – zunehmend schnell in die lange und gerade Porzellangasse ein, um an den Miserowsky'schen Zwillingen vorbeizusausen und in einem gewissen Zimmer aiolische Töne zu erzeugen. Aber der kleine E. P. war zur Stunde nicht daheim. Er saß im Buchhaltungsbüro der Bank und war von Erwägungen ausgefüllt, ob er nun heiraten sollte oder nicht. Im Raume nebenan saß seine künftige Frau. Sie trug eine dunkelrote Bluse und bediente eben jetzt eine Rechenmaschine mit jener gemessenen Aufmerksamkeit, wie sie allen Bürofräuleins eigentümlich ist: nicht zu viel, nicht zu sehr hingebend an die Arbeit und sich etwa ganz ausgebend, aber doch aufmerksam genug, um Irrtümer zu vermeiden und damit Ungelegenheiten und die Nötigung, das Ganze noch einmal zu machen. In der Teinfaltstraße unten tutete was. Der Sommertag, welcher Frau Mary vor dem Haustor um den Hals gefallen war, wurde ungefähr zur gleichen Zeit von E. P. sowie von seiner späteren Gattin durch Blicke aus dem Fenster wahrgenommen. Sie dachten an den Wienerwald. E. P. sah etwas schräg hinaus, das Gelb im Weißen seines Augs verstärkte die Melancholie dieses Antlitzes.
Mary trat auf den Gehsteig zurück, von welchem sie eben gestartet war.
Man könnte sagen: sie bockte innerlich. Sie sah auf das verwirrende Gefahre der Wagen und das Gelaufe der Menschen, welches den weiten Platz allenthalben erfüllte, wie auf eine doch etwas starke Zumutung; niemand konnte sie zwingen, sich da einzulassen. Ohne irgend eine Raison – welche bei einer Person wie Mary sogleich eine Gegenraison und also ein Raisonnieren zur Folge gehabt hätte – wandte sie sich langsam um, schlenderte auf dem Gehsteig zurück, an ihrem Haustor vorbei, weiter, über die Brücke, nach rechts am Kanal entlang und – zufrieden wie jemand, der etwas Verlorenes oder Vermißtes gefunden hat – ging sie voll Behagen den Weg zum Augarten. Ihr Körper hatte für diese ganze Aktion gar nicht nötig gehabt, sich einen Kopf aufzusetzen: er blieb anonym, und so lenkte er Frau Mary mit dem besten Erfolg.
Obstduft zog ihr entgegen – der kam von den VerkaufsStänden, die sich hier ausgebreitet hatten, wie überall in Wien um diese Jahreszeit, welche die Stadt mit Weintrauben, Birnen und Pfirsichen überschwemmte, so daß man, ob man's jetzt recht wollte oder nicht, am Ende doch jeden Weg mit einem kleinen Papiersack in der Hand zu machen mehr-weniger sich genötigt sah. Auch Frau Mary blieb stehen und kaufte – nicht ohne vorher die angebotene Kostprobe zu machen – Kaiserbirnen und Muskatellertrauben. Im Weitergehen begann Mary etwas von den Trauben zu essen – da es hier am Kanal ganz leer und sie also ungeniert war; ihre Finger langten gespitzt in die Düte. Sie fühlte sich in irgendeiner Weise überlegen. Vielleicht im tiefsten Grunde dem Leutnant Melzer überlegen, zum ersten Male.
Dann nahm sie bald der Park auf: etwas geradlinig gestreckt in der Sonne und Windstille, man konnte meinen, es sei hier heißer als sonst in den Straßen. Das Augartenpalais stand rückwärts in einer Art von kulissenhafter Flachheit, ein wenig blendend unter dem blauen Himmel. Mary erblickte alsbald ihren Mann, der auf dem Sand eines Platzes gegen das Netz vorlief, es war offenbar ein scharfes Spiel, auf der anderen Seite befand sich Herr von Semski. Mary ärgerte sich ganz leicht und rasch – ohne aufgesetzten Kopf sozusagen, organischer Ärger – über Oskar, der da nach einem kurzen
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