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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Ein Kuß zur Unzeit, mehr nicht. Aber Herr von Semski hat ihn bezahlt, er hat dafür bezahlt, daß er seinem Lebensglücke nicht den Felsgrund der Geduld hat geben können, daß ihn eine Hingerissenheit jener vorsichtigen Gerissenheit beraubte, die keineswegs nur in den unteren Regionen des Lebens gilt und erforderlich ist, sondern deren selbst ein Feldherr oder Künstler bedarf, um mit seinem Daimonion zu verkehren. Soll Eros, ein Gott, sich schlechtere Umgangsformen bieten lassen?
Mary kam mit ihrem Racket aus der Garderobe zurück. Das Spiel zwischen Semski und Oskar dauerte noch an. Sie blieb am Rande des Platzes stehen und sah ärgerlich zu, sie fühlte zugleich, daß dieser Ärger einen tieferen Grund hatte als sie selbst zu begreifen fähig war; er lief aus ihr, der Ärger, wie das Wasser aus einem Brunnenrohr. Was hatte diese Spielerei für einen Sinn? Sport sollte doch ein Vergnügen sein. Oskar traten indessen schon die Adern aus der Stirn. Übrigens mußte sich auch Semski sehr anstrengen, sein großer Kopf war ganz naß. So also rannten die beiden dort auf dem Sande umher, würde Vater Homer hier etwa zusammenfassend sagen. Man holte Mary, die bei einem Doppel mitspielen sollte.
Sie erlebte Überraschungen dabei. Gegenüber stand ein Ehepaar in ihrem eigenen Alter, und als Partnerin hatte sie eine Frau Sandroch, eine aschblonde Vierzigerin, Deutschrussin oder sonst wo daher, eine elegante, verlebt aussehende Frau, der allezeit etwas Trockenes und irgendwie Staubiges eignete … Frau Sandroch (einen Herrn Sandroch hatte man im Club nie gesehen) spielte weit besser als die anderen drei auf dem Platze befindlichen Personen. Und Mary hatte zudem heute – Arme aus Glas, deren Gelenke aber hölzern sich fühlten. Sie wollte, noch vor dem Beginn, plötzlich wieder vom Platze gehen, sie vermeinte, nicht den einfachsten Ball treffen zu können. Vielleicht wär' es so besser gewesen! Denn Mary plagte sich dann. Die Sandroch spielte schweigend, leichthin, in einem gezogenen, sehr nachlässigen Stil, sie spielte ihr Gegenüber glatt nieder. Nach zwanzig Minuten entschuldigte sie sich, sie ging, und Oskar, der inzwischen eine Pause gehabt hatte, trat an ihre Stelle: und damit wurde Marys Ärger hilflos. Gegen die Sandroch war diesem Ärger der Weg verlegt, denn die hatte von vornherein gebeten mitspielen zu dürfen, obwohl sie nur mehr kurz Zeit habe und also mitten aus dem Spiel den Platz werde verlassen müssen – und so war denn zwischen Oskar und ihr eine Vereinbarung getroffen worden, wonach er an ihre Stelle treten sollte. Mary wußte das alles. Sie wußte auch, daß Oskar sich hier nicht sehr würde anstrengen. Er ließ ihr in der Tat alsbald, soweit wie möglich, jeden Ball: den sie dann verfehlte.
So kam, nach dem Weggange der Sandroch, das Ehepaar K. bald in's Hintertreffen, was Mary wieder unnötig fand.
Sie fing an sich zu plagen, sich anzustrengen. Es half nicht viel. Es half ihr auch nicht gerade, als sie nach einer Weile Frau Sandroch – die mußte sich in der Dusche sehr beeilt haben! – mit Herrn von Semski im Hintergrunde vorbeiwandeln sah, vor den gemähten, fast grauen Wiesenflächen, welche trocken und beinah staubig aussahen, belastet von der Sonne des vorschreitenden Nachmittages. Die Sandroch trug einen stark elektrisch-blau leuchtenden Überwurf, Semski war im Sommeranzug mit Hut und Stock. Die beiden wandelten dort langsam vor dem offenen Prospekt, im Hintergrunde konnte man nur einige Baumreihen sehen und die Häuser des angrenzenden Stadt-Teiles, sehr unklar, andeutungsweise. Das Paar wirkte auf Mary wie etwas sich gleichsam Vorführendes (Promenade im wörtlichen Verstande), ein Wandelbild, Bühne, Theater. Was sie jetzt wohl für Absichten hatten? Doch sicher gemeinsame. Vielleicht wollten sie zusammen soupieren. Sie ging plötzlich in das von ihr vorgestellte Bild hinein und bewegte sich an Stelle der Sandroch in dem Bilde drinnen: darauf bestand ihrerseits gewissermaßen ein Anspruch, heute. Sie hätte das haben können.
»Du mußt mir doch helfen!« rief sie beiseite Oskar zu. »Ja, Müze«, sagte Oskar lachend. Eben war er an das Service gelangt. Er begann mit Schärfe, wiederholte ebenso, placierte, ging gegen das Netz vor, sie verbesserten ihren Stand. Und dann ließ er's wieder sein; Mary ihrerseits war heute wirklich nichts wert, ein fuchtelnder Statist. Das plötzlich belebte Spiel Oskars hatte sich für alle Teilnehmer und Zuschauer überraschend und vielleicht peinlich von

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