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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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seinem sonstigen Verhalten während dieser Partie abgesetzt.
Die K.s wurden natürlich geschlagen und zwar gewannen's die Anderen haushoch, aber lustlos, sozusagen. Mary enteilte sogleich in die Garderobe, sie dachte nicht im entferntesten daran heute noch zu spielen, ihr schien sogar augenblicklich, daß sie überhaupt so bald nicht mehr spielen würde. Sie schlüpfte unter die Dusche, und dann nahm sie ein frisches Sporthemd aus dem Schrank. Während sie ihre Armbanduhr wieder umlegte – aus irgendeinem Grunde leistete der kleine Bügel Widerstand und wollte nicht einschnappen – ärgerte sie sich ernstlich über ihren Mann. Als sie herauskam, stand er bereits umgekleidet bei den Bänken neben dem Platz, im Sommeranzug, eine Aktentasche unter dem Arm, den weichen leichten Borsalino-Hut im Genick. Mary warf einen Blick über den Park nach rückwärts: Semski und die Sandroch waren verschwunden. »Müze – wir sind erledigt, vernichtet, wir haben uns blamiert, wir sind geschlagen worden«, rief Oskar belustigt, als er seiner Frau ansichtig wurde. Der nur knappe Sieg, den Semski heute über ihn hatte erringen können, stand ihm bei diesen Worten geradezu aus der Tasche, wenigstens von Mary her gesehen. »Das hätte ja nicht sein müssen«, sagte sie, etwas fassungslos, und »jetzt brauchst du nur noch zu sagen, ich sei daran schuld.«
»Oho!« rief der männliche Teil des gegnerischen Ehepaares, ein in Wien damals sehr bekannter Rechtsanwalt, »das wird doch niemand zu behaupten wagen.«
»Warum nicht, ich behaupte das glatt«, sagte Oskar. »Also weißt du, das ist unerhört«, rief Mary, deren entzückend hübsche schmale Nasenwurzel jetzt wie von kleinen Blitzen zerrissen aussah, »wo es doch nur an dir gewesen wäre, dem Spiel eine ganz andere Wendung zu geben!«
»Sie haben unter Ihrer Kraft gespielt, Herr K. das steht doch außer Zweifel«, sagte der Advokat besorgt und besänftigend, da ihm hier eine eheliche Causa sich zu entwickeln schien. »Ich war halt müd«, erwiderte Oskar nachlässig.
»Aber plötzlich hast du's doch können!« rief Mary in einem schon durchaus engagierten Tone, welcher die Aufmerksamkeit auch derjenigen erregen mußte, die von diesem Spiel garnichts wußten und nicht einmal zugesehen hatten. »Entweder spielt man oder man spielt nicht; aber sich mit schwächeren Spielern nur so herablassend einlassen, so mit ein paar Schlägen, ganz offensichtlich …«
Die Frau Doktor Adler (so hieß jener Rechtsanwalt, der mit seiner Gattin gegen K.s gespielt hatte) war indessen hinzugetreten, und Mary betrieb also hier eine Art Demagogie, sie suchte Anhang gegen Oskar, wenn auch die unverhüllte Einreihung (freilich auch der eigenen Person) unter die schwächeren Spieler demagogisch nicht sehr vorteilhaft sein mochte … jedoch den Oskar K. mußte man sehen: er schien den heutigen Tag als einen wirklichen Glückstag zu empfinden, seine disparaten Gesichtszüge vereinheitlichten sich geradezu unter einem Lächeln, während er stichelnd den Streit mit seiner Frau noch weiterzutreiben suchte:
»Wenn ich dir Bälle weggenommen hätte, wär's ja auch nicht recht gewesen.«
»Natürlich nicht«, fuhr sie auf, »aber die deinigen hättest du ordentlich nehmen sollen!«
»Müze«, rief er, »ich hab mich halt ganz und gar an dein Vorbild gehalten – was ich übrigens immer tue, das versteht sich ja von selbst …«
Mary war mit diesem erregten Gespräch irgendwohin geraten, wohin sie gar nicht wollte, es lief aus ihr wie Wasser aus dem Brunnenrohr, oder es zappelte die Streiterei aus ihr hervor wie die Tauben, Kaninchen und Meerschweindeln aus dem Zylinderhute des Zauberkünstlers – und jetzt rannte das Zeug schon überall herum, es waren wirklich diverse Meerschweinchen ausgekommen! Und Oskar, der Mary jetzt so zärtlich beim Arm nahm, und sich zurück-grüßend und lächelnd zugleich von der Gesellschaft verabschiedete, Oskar reichte ihr gleichsam ein großes Papier oder Tuch oder Gefäß, in welches man all den wimmelnden Unsegen mit Anstand und als Scherz wieder verschwinden lassen konnte. Wirklich, hier gab er dem Spiel eine ganz andere Wendung! Sie war plötzlich voll Dankbarkeit und ließ sich zuinnerst in seine schützenden Arme sinken, während sie mit ihm und an ihn gelehnt und geschmiegt abging: ja, heute leckte irgendein spitzes Flämmchen in ihr noch über den gewohnten Umriß dieses alten Scherzes: sie applizierte im Gehen einen raschen Kuß auf die Wange ihres Mannes. Beide wandten sich

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