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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Hüftenschnitt machen, mit Schnallen an den Seiten. Dies ist nur das Gröbste, was man ja ganz einfach mit dem gemeinen Verstande aus dem Wegfallen von Hosenträgern herausfolgern könnte. Aber, zweifelsohne gibt es hier auch Veränderungen in der Art, wie man seinen Oberkörper trägt, wie man atmet; und es gibt auch kaum als Strichmarken, kaum als Ritze in der Platte noch auffindbare Veränderungen, solche, die schon in den Nervenbahnen wieder aufgelöst und anonym geworden sind, Veränderungen im Lebensgefühl – ohne Hosenträger.
    Dem Majoren Melzer aber hätte man das verhältnismäßig Epochale einer solchen Beeinflussung schwerlich auseinandersetzen und beibringen können. Denn er hat garniemals welche getragen (Hosenträger), sondern seit jeher einen glatten Leibriemen. Die Leute müssen alles selbst erleben, sonst verstehen sie garnichts.
    Bei alledem aber: in dem Weglassen der Hosenträger lag ja eine Art Gesinnung, die jener E. P. aus ihrer Latenz zur Ma nifestation in diesem Punkte damals bei René erweckt hat. Es erscheint denkbar, daß Renés Haltung, als er vor dem Franz-Josefs-Bahnhof am Sockel des Uhrtürmchens lümmelte, ohne jenen E. P.'schen Einfluß in irgendeiner Weise anders gewesen wäre. Und vielleicht hätte er Frau Mary K. damit weniger mißfallen. Indessen, er war zu dieser Zeit schon entwöhnt.

    Was zieht man zu einer Bootspartie an, fragte sich Frau Mary nach dem Mittagessen, welches heute von der treuen Marie ihr gleichsam mit Sorgfalt angemessen worden war, denn der Speisezettel erforderte ja diesmal keine Rücksicht auf den Hausherrn und den größeren Appetit der Kinder – demnach wenig, aber erlesen: eine Tasse Bouillon, ein Bissen frischer gebratener Gansleber, ein Bries. Mit dem Kaffee nahm Mary noch ein kleines Glas Malaga – zum Essen hatte sie nur Gießhübler getrunken – und eine Zigarette, die einzige des Tages übrigens, nach Tische. Was zieht man also zu einer Bootspartie an?
    Sie blies den Rauch auf das Tablett und lachte und mußt' es doch fühlen: sich auf eine Sache einlassen, heißt auch ihren Einzelheiten dienen, was eine Art von, man könnte fast sagen, Demut erfordert, die oft beim Entschluß zu gedachter Sache keineswegs Pate gestanden hat. Aber bei Mary konnte sich die Ironie über der Situation halten, durch einen überraschenden Ausweg, der ihr erlaubte, diese Situation garnicht zu akzeptieren (als hätte sie sich da etwa eingelassen), sondern sie vor sich herzutreiben wie einen Ball – oder, wenn man schon so unangenehm genau sein will – sie immer noch hinauszuschieben, denn: ein Blick auf irgendeinen Millstätter oder Pörtschacher Sommer machte ohne weiteres klar, daß man für eine Partie auf dem Wasser sich weiß zu tragen hatte, wie man denn auch ein Segelboot gar nicht anders als mit Tennis-Schuhen betreten durfte. Es dauerte nicht allzulange bis sie fertig im Vorzimmer stand, gehüllt in die gleichsam tragende Wolke ihrer gepflegten Macht und in eine neue weiße Flauschjacke über dem Tennis-Hemd, welche Frau Mary ganz vorzüglich kleidete. So stieg sie denn die verhältnismäßig enge Spindel der Stiege hinab, immer um den eingebauten Aufzug herum, trug ihre Preziosität durch den hohen hallenden Torweg an der Portierloge vorbei (dieses Gebäude stammte, wie so viele in Wien, aus der sogenannten Gründerzeit, und der seinerzeitige Erbauer und Eigner, Herr Doro Stein, ein bedeutender Rennstallbesitzer übrigens, hatte auf die Einfahrt für seine Kutsche und eine gewisse sonore Repräsentation Wert gelegt) – an dem herausblickenden und grüßenden Hausmeister vorbei also schritt Mary auf das kleine Pförtchen in dem großen Tore zu, drückte es auf, denn der automatische Türschließer bot einigen Widerstand, und stand nun überrascht auf dem Trottoir – in einem wirklichen Sommertag, der inzwischen, trotz der sich neigenden Jahreszeit, hier heraußen seine Vollkommenheit erreicht hatte und Mary sogleich um den Hals fiel.

    Der Platz vor dem böhmischen Bahnhof, dem Franz-JosefsBahnhof in Wien, war damals mit der Zeit schon eine Art Rangiergeleise der Straßenbahn geworden (ähnlich wie der Domplatz in Mailand), die da von allen Seiten mit den verschiedensten Linien eintraf: das jaulte und rollte durcheinander, klingelte, drehte überraschend in eine Seitenstraße ab oder sauste gradaus über die Brücke davon. Mary stand am Ufer dieses Sees von Verkehr, darin die rotweiße Straßenbahn noch das Bescheidenste, die Fülle der Lastautos aber

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