Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
werden – erfahren, daß E. P. den René von Stangeler gekannt hatte. (Jene ›Strudlhofstiege‹ zu Wien ist eine Treppen-Anlage, welche die Boltzmanngasse – erst in der Republik von 1918 wurde sie nach dem großen Mathema tiker benannt – mit der Liechtensteinstraße verbindet und die Mitte dieses Teiles der ›Strudlhofgasse‹ darstellt.) Für den Major begann René damals eben interessant zu werden, könnte man wohl sagen, und es überlagerten sich Melzers Erinnerungsbilder, die er von dem Gymnasiasten und dessen Elternhaus bewahrt hatte, jetzt mit einer Art von Verknüpfung, die zwischen ihm und dem nun (wenigstens den Jahren nach) erwachsenen René entstehen wollte. Zugleich durchdrangen einander beide Bilder. Es ist an jenem Abende des 22. August 1925 zwischen E. P. und Melzer viel von René die Rede gewesen; und von eben daher stammte eine zum Teil irrtümliche Auffassung des Majors, an welcher er aber in der Folge durchaus festhielt, weil sie einem ganz unmittelbaren Eindruck ihre Entstehung verdankte.
    Melzer vermeinte nämlich, daß René einen übermächtigen Einfluß auf den Kleinen ausgeübt habe, der auch nach dem Bruche zwischen den Beiden fortwirkend durchaus merklich geblieben sei. Merklich mag stimmen: denn er lag an der Oberfläche; in Ausdrucksweisen, Redeformen, ja geradezu in Zitaten. Aber was E. P. seinerseits in Stangeler zurückgelassen hatte, war von einer nachhaltigeren Art: seine Art zu sein nämlich. Sie ist in jenen René tief eingegangen, tiefer noch als das aiolische Getön in dem Eckzimmer, wenn unten die Straßenbahn vorübersauste. Das Abendlich-Rauchige im Wesen des kleinen Mannes, diese Trübung des mandelförmigen Augs, hinter welches ganz dicht sich das Herz gesetzt zu haben schien, um den Schleier dann mit einem Strahl außerordentlicher Wärme zu durchbrechen. Dieses Abendliche, das zu Winterabenden paßte. »Ich komme um die Dämmerung«, so hatte er immer zu Grete gesagt, nie eine bestimmte Stunde angegeben. Mit Stangeler gemeinsam aber hat E. P. nur einen einzigen Winter verlebt nach dem Kriege, den von 1920 auf 1921. Im Mai ist dann Grete aus Norwegen gekommen und alles war bald zu Ende, aus lauter vollendeten Tatsachen bestehend, die keine Dämmerung mehr zwischen sich duldeten, sondern hexagonal, kubisch, oder sonstwie kristallisiert, ins Licht des Tages standen (»kristallisiertes Menschenvolk« sagt Mephistopheles einmal). Jene Einflüsse also waren's, die tiefer gingen als Redewendungen. Der Ton, der lautlos aiolische, nicht der hörbare. Der Blick.
    Und dann gab es außer diesem noch ganz Handgreifliches, feststellbare Spuren und Relikte: man muß die Sachen nur untersuchen! Wohlan denn, untersuchen wir's:
    Da war die Gewohnheit des René Stangeler, keine Hosenträger mehr zu verwenden. Seit damals. Ein Beispiel genüge für alle, es ist wahrlich trivial und handhaft genug. Wir hinterlassen unsere Spuren aneinander. Es müssen nicht immer Narben von Säbelduellen sein. Seit damals also besaß er keine mehr (René – Hosenträger). Es ergibt sich hier der wenig komplizierte Schluß, daß dem E. P. mehr Chic eignete als jenem (René), mehr angeborene erste Form, eine sozusagen bessere erste Gesundheit und ein tieferes und ungefährdeteres Wohlbefinden (bei und unter all' seinem Unglücklichsein). René machte ihm das Fortlassen der Hosenträger einfach nach und hat seitdem weder zum Frack, noch zum Nationalkleid mit Lederhose (obwohl sie da eigentlich dazugehören!) welche getragen und überhaupt keine mehr besessen. Die er damals besaß, warf er fort: das eben war eine tendenziöse Handlung, mit welcher er an seiner Person etwas bessern und bauen wollte. Er warf die Hosenträger fort. Er ließ sie nicht etwa im Schrank beiseitehängen (dies alles nach Kajetan von S. dem gegenüber es ausdrücklich erwähnt worden ist).
    Das ist zweifellos ein Einfluß, ja ein Eingriff, ein bleibender Ritz in der Wachsplatte: jemandem die Hosenträger abzugewöhnen. Warf Stangeler zehn Jahre später den Rock ab, dann fand sich E. P.s Spur an seinem Oberkörper: keine Narbe von einem Säbelhieb (auch keine Biß-Narbe), sondern es fehlten die Hosenträger. Dies zog nun eine Reihe von Veränderungen in seiner Kleidung und in seinen Gewohnheiten nach sich: er legte den Rock eher ab wie bisher (und hat sich nie mehr vor einer Frau in Hemdsärmeln mit Hosenträgern präsentiert), er begann die Weste wegzulassen und trug später schon höchst selten eine, er ließ seine Beinkleider im

Weitere Kostenlose Bücher