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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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haben). »Dann war's mein Geist«, sagte Editha. Am Heimweg fuhren die Wagen in der gleichen Reihenfolge wie früher, jetzt im Dunklen. Es ging eine Serpentinenstraße hinab, langsam. Bei einer Wendung glitzerten die Lichter der Stadt auf, und schon auch entrollte sich dieser irdische Sternhimmel in größter Ausdehnung. Editha und Melzer lehnten Arm in Arm in den Lederkissen, deren rote lackartig glänzende Farbe jetzt freilich erloschen war. Sie küßten einander rasch. Es wär' nicht nötig gewesen, sich dabei zu beeilen, niemand wandte sich um, weder Eulenfeld noch das KnallBonbon. Hoch über den Erdensternen erschienen plötzlich lange, leuchtende Streifen am Himmel, zwei, drei, und noch viel mehr. Editha drückte Melzers Hand. »Was wünschen wir uns?« flüsterte sie, nah an seinem Ohre. »Das gleiche«, sagte er.

    Am Mittwoch, der auf Mariä Geburt folgte, kam Melzer nach Liechtenthal, gegen vier Uhr.
    Editha hatte ihn Sonntags telephonisch angerufen und Montags: kurze, aber zärtliche Gespräche. Ob er an sie denke? Ja? Es sei ›allerlei los‹, sie würden einander wohl erst Donnerstags für ein Kurzes sehen können. Sie freue sich jetzt schon. »Freust du dich auch?« Am Donnerstag um fünf Uhr möge er ihren Anruf erwarten, wenn er vom Amt wieder zurück sei.
    In ihm stand die Gewißheit, seit Samstag, in einer stehend gewordenen, fast pappigen Weise, wie ein erstarrter Guß.
    Ja, die Nummer stimmte. Er kreuzte die schmale und ganz leere Gasse, ging auf das runzlige kleine Haus zu und trat in die Torfahrt. Erst schien es ihm hier vollkommen still zu sein. Der lehmfarbene gleichmäßige Bewurf in der niederen Wöl bung wollte diesen Eindruck noch verstärken. Rechts oben lag etwas Sonne in den eingesetzten bunten Vierecken. Nun hörte Melzer von rückwärts her, wo der Garten sein mußte, schwachen Andrang von Stimmen durch die weitoffene zweiflügelige Glastür. Er blieb erst stehen, als durch diese etwas rasches Buntes hervorschoß und gleichsam kugelte, eine rollende Salve von Trappelschrittchen unter den hallenden Bogen werfend: nun geradewegs auf Melzer zu, an welchem es Halt fand und sich auffing. Er sah hinab und spürte dabei mit großer Deutlichkeit die Wärme der kleinen bloßen Arme und Hände, die sein linkes Bein umfingen, durch den leichten Stoff des Anzugs. Er sah hinab, und sie sah hinauf. Ihm schien's durch einen Augenblick wie ein dicker Apfel, der vom Baum gehüpft und ausgerollt war und ihn jetzt mit Äuglein blinzelnd anschaute. Melzer bückte sich, hob die Kleine auf den Arm und ging weiter. Sie mochte diesen Sitz als natürlich und ihr durchaus zukommend empfinden, denn sie umfaßte seine Schulter und lehnte sich daran. So war der fast himmlische flaumige Duft einer Wange (besonnten Aprikosen nicht unverwandt) ihm nahe. Melzer widerstand nicht und riskierte einen Kuß. Er hatte Glück bei der kleinen Pichler Therese, denn sie erwiderte ihn unverzüglich. Und solchergestalt erschienen die beiden unter der Glastür und im Garten.
    »Jetzt schaut's euch das Dirnderl an!« rief der Werkmeister, »die kennt ja gar nix!«
    Er kam Melzern rasch entgegen und sagte: »Ich nehme an – Herr Major Melzer? Alois Pichler. Es freut mich ganz außerordentlich, Herr Major! Da ist schon meine Frau.« Sie wollte ihm das Kind abnehmen. Aber die Kleine legte Melzern die Ärmchen um den Hals und versteckte kichernd ihr Gesicht an seiner Schulter. »Sie will bei mir bleiben«, sagte Melzer. Er gab sie nicht her, sondern behielt sie auf dem Arm. Und später strampelte sie auf seinen Knien.
    Im Hintergrunde, bei den Obstbäumen, stand Thea Rokitzer. Indessen waren Theresia Schachl und der Amtsrat Zihal herangekommen. »Außerordentlich erfreut, Herr Major«, sagte dieser, als er durch Paula mit Melzer bekannt gemacht worden war. »Leider kann ich Sie heute nicht meiner Frau vorstellen, Herr Major, die sich sehr gefreut hätte«, setzte er gleich hinzu, »aber wir haben ein kleines häusliches Malheur gehabt. Meiner Frau ist beim Obst-Einkochen ein Glas zerbrochen und sie hat sich in den linken Unterarm geschnitten.« »Doch nicht gefährlich?«
    »Ist nicht als gefährlich oder gar schlimm anzusehen«, sagte der Amtsrat. »Aber sie hat mit dem frischen Verband nicht gleich ausgehen mögen. Wir waren beim Arzt.«
    Es gibt doch eine Gerechtigkeit. Sie straft nicht immer so immediat. Meist wird das Faszikel erst auf ein anderes Regal verhoben, ja manchmal scheint es überhaupt in längeren Verstoß geraten

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