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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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durchaus ernsthaft erörterte. Vor allem ließ Kajetan sich dies angelegen sein. Er zeigte die Fähigkeit, sich da hinein zu steigern und erging sich darin, er faßte sich jetzt gleichsam selbst ganz in diese Form, als dächte er immer so, als lebte er immer so. Das wäre nun mit Hinblick auf die Gemüts-Art seiner Frau besser unterblieben. Der geborenen Schedik fehlte es keineswegs an Intelligenz, ihr eignete eine solche von der zarten Art (soweit bei einer sonst auch zarten Frau gerade auf dieser Ebene Zartheit angetroffen werden kann), jedoch es fehlte ihr ganz und gar an Schwung oder an irgend was, das man hätte in Schwung setzen können. Alles an ihr war gleichsam feines Gitterwerk. Sie war schwer faszinierbar: und sie konnte daher auch niemanden nachmachen; die Bewegungen und Mienen eines anderen Menschen wirkten auf Frau Camy wahrscheinlich nur indirekt, gebrochen durch das Medium der Überlegung: daher sie denn keineswegs begriff, daß ihr Mann eine Art Rausch hatte, nicht einen vom Wein, sondern einen aus einer fremden Seele bezogenen, die ihm mindestens ebenso fremd war wie ihr: aber augenblicklich erfaßte er fasziniert deren innere Form; wäre die Einwirkung länger und so etwas bei dem krassen Unterschiede der Physiognomien überhaupt möglich gewesen – er hätte wohl angefangen, Höpfnern irgendwie ähnlich zu sehen, für die Optik eines schärfsten Blickes allerdings nur. Ein solcher eignete der Frau Camy von S. nicht, trotz ihrer manchmal etwas hervortretenden Augen. Da saß sie nun, sah immer vornehm und getrocknet aus, das Hütchen sehr in die Stirn gesetzt; ihr außerordentlich schönes blondes Haar kam stark zur Geltung. Sie betrachtete ihren Mann mit einem kleinen aber ansteigenden Entsetzen, wobei ihre zu groß geratene Nase das ganze hübsche Gesichtchen hinter sich her riß. Nichts von alledem aber bemerkte der Doktor Negria: dieser war voll präsent, seine Räder drehten sich, das richtige Wasser lief darauf: was er hier bei Höpfnern sah, das war die Gesinnung des Eingriffs, der Aktivität, des Durchbruchs, gleichgültig wohin, sei's in die Vernichtung, in die Zernichtung. »Aber warum, warum denn das alles?!« rief Camy plötzlich, »wer gibt einem das Recht, einen anderen Menschen derart zu quälen? Was muß der einem angetan haben, daß man solche – solche Apparate gegen ihn in Bewegung setzt? Sagen Sie mir das doch!«
    »Das ist zunächst, meine Gnädige, vollkommen nebensächlich«, sagte Negria rasch, ihren Einwand als ganz unwesentlich wegwischend, »man nimmt eben irgend einen beliebigen Anlaß.«
    »Wie?!« rief sie. »Ja«, sagte Kajetan, »die Qualität liegt doch hier in der Durchführung. Es handelt sich ja gar nicht um Rache oder Vergeltung. Diese bilden nur einen Vorwand.« Nun war sie wirklich reizend, die Camy; denn sie sank ein wenig zusammen, zuckte mit den schmalen Schultern und sagte nichts mehr. Höpfner betrachtete sie mit zuwartender Liebenswürdigkeit. »Es handelt sich um die Tat!« rief Negria, »und um weiter nichts. Die richtig aufgebaute und bis zum Exzeß gesteigerte Tat hat Wert, nichts sonst.« Weil das Gespräch an diesem Punkte vollends zerbröselte, trat ein plötzliches lautes Gelächter des Rittmeisters, dem nun wirklich jeder Vorwand dazu fehlte, mehr in Erscheinung als jenem lieb sein mochte. Aber er hatte sich nicht mehr zu helfen gewußt. Die Miene der Angelika Scheichsbeutel während Negrias Reden war zu einer solchen Ausdruckskraft gekommen, daß man's auf der Bühne als vorzügliche Leistung gewertet hätte. Sie schaute drein wie etwa ein tief im Sand watender Wüstenwanderer, der eine Düne hinaufblickt, hinter welcher ein neuer Wirbelsturm sich erhebt. Eulenfeld sah die Scheichsbeutel von der Seite. Und so wirkte denn hier der Haarbeutel mit, als ließe sie ihn hängen wie ein Hund die Ohren. Das ganze Bild mochte etwa genannt werden ›Nach einem Sommer mit Doktor Negria‹. Geyrenhoff, neben welchen Editha zu sitzen gekommen war, fragte diese zwischendurch, ob sie nicht am Montag, dem 24. August, in Salzburg gewesen sei? (Diese Chronisten sind alle schauderhaft genau, die schreibenden samt den nichtschreibenden.) Melzer unterhielt sich mit Camy von S. seiner Nachbarin, halblaut raunend, die Stimme klang so, als tröste er sie. »Nein«, sagte Editha. »Der Edouard von Langl behauptet, er habe Sie dort gesehen«, sagte Geyrenhoff (vielleicht schien ihm der Fall aufklärungsbedürftig, und er wollte vor der Buchung desselben seine Ordnung

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