Die Strudlhofstiege
einem Instrumentenbrett, wie von weisenden Nadeln den ganzen Stand des amoureusen Gefechts, welches zu ihrer Sache zu machen sie nun mehr denn je entschlossen war. Und ihre Divination erwies sich als bedeutend: jetzt schon, wenige Minuten nachdem sie den Major hatte kennengelernt, wußte sie auch bereits, wo das wesentliche Hindernis ihrer Pläne saß, war sie sich auch schon im klaren darüber, daß eine Bescheidenheit von so abgründiger Art einen Wall darstellte, stärker als meterdicke Mauern, und daß es unmöglich war, einer Seele, die durch solche Fenster in die Welt blickte, diese kurzerhand – einzuschlagen …
Zugleich jedoch war unserer Pichler das Außerordentliche des Reizes vollends klar, den Thea Rokitzer hier und heute wirken mußte. Es befand sich das Mädchen auf einem jener Höhepunkte, die der Mensch nur ganz unversehens erreicht, als ein unvermutet Hinzugegebenes – das Hinzu-Gegebenste, was überhaupt gedacht werden kann – wie eine plötzliche Belohnung für Verdienste, die dem Empfänger ›im höchsten Grade unbekannt‹ sind. Wir haben die Rokitzer nicht als Genie in Latenz ›anzusehen‹ (wie Lina Nohel, Ferdinand Schachl, Kroissenbrunner e tutti quanti rari rarissimi), dazu ist sie uns, um's kurz zu machen, ganz einfach zu dumm (ebenso wie unsere liebe Pichler zu klug), und ein Glaskasten, der man ist, macht noch kein Genie, wenn auch eine sehr strenge Prüfungs-Sta tion gerade für ein solches (für olle Bootsleute weniger, sie werden überhaupt milde behandelt und selten aufgerufen). Eine Erklärung für das heutige Angehaucht-Sein der Rokitzer könnte indessen auch darin gefunden werden, daß ihre Pönitential-Ferien nun schon seit Sonntag dem 30. August andauerten, also neun Tage (poenitentia nundinalis – hätte der Rittmeister gesagt, und vielleicht gedachte er diese im stillen immer mehr und mehr zu erstrecken). Bei Thea war also Gelegenheit gewesen, ihren eigentlichen Aprikosen-Grund dunstbefreit in Morgentau und Sonne wieder zu einer Behauchung, Beflaumung und zarten Bepelzung gelangen zu lassen, welcher der Major nur widerstehen konnte, weil die Thea Rokitzer (63,5 kg) nicht auf seinem Arme saß, wie die kleine Reserl Pichler, noch auch von demselben umschlungen wurde. Allerdings hielt sie sich an dem Majoren noch viel inniger fest als diese. Aber nicht mit Handerln. Und in solchen Sachen gelten nur die direkten, nicht die übertragenen Bedeutungen (im Grunde sind das lauter Gemeinheiten – und Sie, Herr Amtsrat, sind eine literarische Pest, damit's einmal gesagt ist). Auch der Zusammenbruch von Theas filmischen Plänen – und Pläne, die er wälzt, geben dem Menschen ihre Façon – mag jener Heilung der Aprikosen-Oberfläche förderlich gewesen sein; zudem war diese ja seit vielen Wochen nicht mehr mit künstlichen Bräunungs-Mitteln verschmiert und durch recht dilettantisch geübte Sonnenbäder gereizt worden. Für so was hätte man der Thea beim St. Valentiner Zihaloid keineswegs Zeit gelassen. Doch eine gesunde Gesichtsfarbe brachte sie wohl von dort mit. Aber noch etwas war's, wovor sich die Pichler plötzlich als vor eine Unmöglichkeit gestellt sah, jetzt plötzlich (mochte es gleich bisher als die glatteste Sache ihr erschienen sein), wäh rend man sich schon am Kaffeetisch unter den Obstbäumen niedergelassen hatte und an der ersten Station einer solennen Wiener Jause‹ hielt, die Tassen aus dem achtzehnten Jahrhundert in der Hand, und im ganzen (wenn nicht gerade Gugelhupf und Kaffee) die Sprache des neunzehnten Jahrhunderts noch im Munde, die Spätsommersonne aber, das linde Spielen der obstigen Luft eines Tages im ersten Drittel unseres zwanzigsten Jahrhunderts um Antlitz und Schläfen … noch etwas war's, wovor sich unsere liebe Pichler gestellt sah, wie einer unübersteiglichen Mauer gegenüber, die ganz zweifellos sich sofort im Gehöre des Majors Melzer würde aufrichten, wenn sie – es mußte nicht hier und heute sein, es konnte ja irgendwann sein! – wenn sie ihm … von den gedoppelten Damen sagen würde. Denn das war ihre plane Absicht, seit Stangeler (von ihr respektiert) diese Mission glatt abgelehnt hatte. Aber wie?!
›Herr Major – verzeihen Sie mir eine nur scheinbare Zudringlichkeit. Aber Sie interessieren sich für eine Frau Editha Schlinger. Ich fühle mich verpflichtet, Ihnen zu sagen, daß es diese Dame zweimal gibt.‹
Das war ja Unsinn! Wenngleich zutreffend.
›Herr Major – ich möchte Ihnen, da ich nun einmal die Gelegenheit
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